Mehrere juristische Standardwerke, wie der „Palandt" oder der „Schönfelder" sollen wegen ihrer Nazi-kontaminierten Herausgeberschaft unbenannt werden. Der Verlag will damit ein Zeichen setzen. Warum erst jetzt? Ein Kommentar von Helmut Ortner.
Der renommierte juristische Verlag C.H. Beck ließ verlautbaren, er wolle fortan mehrere Standardwerke aus seinem Verlagsprogramm umbenennen, die für alle Jura-Studierenden, jede Kanzlei und in allen Gerichtssälen hierzulande prägende Bergriffe sind, gewissermaßen die erklärenden, verlässlichen Leitplanken durch die juristischen Höhen und Niederungen im deutschen Gesetzes-Dschungel. Aus dem „Palandt”, dem 3216-Seiten-„Kurzkommentar” zum Bürgerlichen Gesetzbuch, werde nun der „Grüneberg”, auch die dicke rote Sammlung „Schönfelder” aus dem gleichen Haus mit Gesetzen zum Zivil- und Strafrecht, auch sie werde künftig unbenannt und vom Münchner Zivilrechtsprofessor Mathias Habersack herausgegeben. Nicht genug: Der mehrbändige Grundgesetzkommentar „Maunz/Dürig” soll künftig ebenso neu namentlich etikettiert werden. Er soll den Namen „Dürig/Herzog/Scholz” tragen.
Dass es sich hier nicht um ein übliches Re-Branding eines angesehenen Verlags handelt, sondern um die Einsicht, das es nicht akzeptabel und verantwortungsvoll ist, wenn die Standardwerke im Verlagsprogramm Namen von Juristen tragen, die während der nationalsozialistischen Diktatur eine aktive und prominente Rolle eingenommen haben – das wollen die Münchner Verleger in einer Presseerklärung Glauben machen.
Der „Palandt” gehört zum Inventar in fast jedem
Richter- und Anwaltsbüro hierzulande. Namensgeber Otto Palandt trat im
Mai 1933 der NSDAP bei. Ab Juni
1933 war er Vizepräsident und seit Dezember 1933 Präsident des
Preußischen Landesprüfungsamtes. 1934 wurde Palandt von Roland Freisler,
Hitlers Blutrichter und späterer Präsident des Volksgerichtshofes, zum
Präsidenten des Reichsjustizprüfungsamts und Abteilungsleiter im
Reichsjustizministerium ernannt. Otto Palandt zählte damit zu den
einflussreichsten Juristen des Dritten Reichs, ein Mann, der die
sogenannte „Arisierung“ des Rechtswesens mit vorantrieb. Er forderte,
junge Juristen müssten lernen, „Volksschädlinge zu bekämpfen“ und die
„Verbindung von Blut und Boden, von Rasse und Volkstum“ begreifen.
Kommentiert hat Otto Palandt in dem nach ihm betitelten Werk nie, seine
„Mitarbeit“ beschränkte sich darauf, glorifizierende Vorworte auf das
nationalsozialistische Regime zu verfassen.
Dennoch druckte und verbreitete der Verlag C.H. Beck nach dem Krieg den
„Palandt” mit der Rechtfertigung, Palandt sei bereits 1948 in
der britischen Besatzungszone entnazifiziert worden. „Entscheidend für
uns ist“, so der Verlag, „dass der Name des Werkes schon früh losgelöst
von der Person ein Eigenleben entwickelte und sich über mehrere
Generationen hinweg in Wissenschaft und Praxis etabliert hat“. So blieb
es über Jahrzehnte. Bis heute. Mittlerweile in der 80. Auflage.
Nun also soll der „Palandt” nicht mehr Palandt heißen. Bleibt
die Frage: Warum erst jetzt? „Geschichte kann man nicht ungeschehen
machen. Deshalb haben wir zunächst die historischen Namen beibehalten“,
erklärt Verleger Hans Dieter Beck nun in der Pressemitteilung des
Verlags. „Um Missverständnisse auszuschließen“, so der Verleger, habe
man sich nun aber dazu entschlossen, dieses und auch andere „Werke mit
Namensgebern, die in der NS-Zeit eine aktive Rolle gespielt haben,
umzubenennen“. Als Grund, warum das erst jetzt geschehe, sagt Beck: „In
Zeiten zunehmenden Antisemitismus ist es mir ein Anliegen, durch unsere
Maßnahmen ein Zeichen zu setzen“.
Für dieses „Zeichensetzen“ gab es umgehend öffentliches Lob vom
bayerischen Justizminister Georg Eisenreich. Der CSU-Politiker nannte die Namensänderung
„eine sehr bedeutsame Entscheidung“, die „notwendig“ sei, denn
„Namensgeber für Gesetzessammlungen und Kommentare müssen integre
Persönlichkeiten sein. Keine Nationalsozialisten.“ Denn, so der
Minister: „Wir tragen in Deutschland eine besondere historische
Verantwortung. Antisemitismus und Rechtsextremismus haben in unserer
Gesellschaft keinen Platz. Ich halte es daher für unerlässlich, dass das
historische Bewusstsein für das nationalsozialistische Unrecht in allen
Bereichen geschärft wird. Der NS-Unrechtsstaat und die
menschenverachtenden Verbrechen waren auch deshalb möglich, weil sich
nicht wenige Juristen, die eigentlich Recht und Gesetz verpflichtet
waren, in den Dienst des Regimes gestellt haben. Wir müssen aus dem
dunkelsten Kapitel unserer Vergangenheit und dem beispiellosen
Zivilisationsbruch lernen und uns mit den gravierenden Folgen eines von
rechtsstaatlichen und ethischen Maßstäben losgelösten juristischen
Handelns auseinandersetzen.“ Und deshalb hat Eisenreich in diesem
Frühjahr eine Studie zu Palandt und Schönfelder beim Münchner Institut
für Zeitgeschichte in Auftrag gegeben.
Der Lern-Aufruf des fünfzigjährigen Ministers spiegelt 76 Jahren nach
Kriegsende die Rhetorik eines pflicht-besorgten Politikers – und ist
dennoch von geradezu irritierender Geschichtslosigkeit. Hatte nicht die
politische Klasse, allen voran auch seine CSU-Partei in der Adenauer-Republik, alles
getan und ebenso viel unterlassen, diese „fürchterlichen Juristen“ (Ingo
Müller) reinzuwaschen und zu integrieren? Zehntausende Juristen,
schwer- und schwerstbelastet, die dem NS-Regime in wichtigen Positionen
gedient hatten, konnten – ausgestattet mit „Persilscheinen“ und
erfolgreich „entnazifiziert“ – in der Bundesrepublik ihre Karrieren
fortsetzen. Die Generation der Täter und die ihrer Nachfolder schlossen
gewissermaßen einen generationsübergreifenden Pakt: eine
Komplizenschaft, die auf eine konsequente Ausgrenzung, Strafverfolgung
und Verurteilung verzichtete. Die Ära Adenauer: der große Frieden mit
den Tätern, Mitläufern und Wegsehern.
Die personelle Kontinuität nach 1945 ist ein zweifelhaftes Lehrstück
politischen Verhaltens zwischen Strafe und Reintegration, Kontrolle und
Unterwanderung, Reform und Restauration. In Ministerien und
Gerichtssälen hielten ehemalige Parteigänger und Funktionsträger wieder
Einzug, auch in den juristischen Fakultäten Universitäten. Das alles ist
bekannt – und wird gerne vergessen.
Dazu kein Wort des Ministers. Auch kein kritisches Wort zur jahrzehntelangen Tolerierung der Nazi-nahen Herausgeber- und Autorenschaft von Verlagsseite. Dabei hatten bereits 2018 Eisenreichs Ministerkollegen der Länder Hamburg, Thüringen und Berlin die Umbenennung des Standardkommentars zum Bürgerlichen Gesetzbuch „Palandt“ gefordert. Berlins Justizsenator Dr. Dirk Behrendt, einer der Unterzeichner, mahnte mit deutlichen Worten: „Wir haben den Palandt in Berlin als Hilfsmittel für das zweite Staatsexamen zugelassen. Damit steht der Beck-Verlag in der Verantwortung. Ich erwarte daher von dem Verlag, dass er seiner Verantwortung gerecht wird und den Kommentar umbenennt.“
Auch eine Initiative „Palandt umbenennen!“ (IPU) hatte immer wieder eine Umbenennung gefordert und mit einem provozierenden Vergleich argumentiert: „Aus guten Gründen akzeptieren wir heute keinen Rudolf-Heß-Platz mehr, kein Auto-Modell namens „Himmler” und keine Hermann-Göring-Schule. Die Selbstverständlichkeit, mit der solche Namensgebungen als undenkbar gesehen werden, stehen in starkem Kontrast dazu, dass in jeder rechtswissenschaftlichen Fakultät, fast jedem Amt, jedem Gericht und jeder Kanzlei ein juristisches Standardwerk zu finden ist, welches den Namen eines führenden Nationalsozialisten trägt. Wenn Hermann Göring und Rudolf Heß, Heinrich Himmler und Roland Freisler als Namensgeber tabu sind, dann muss es auch Otto Palandt sein…“. Es sei Zeit, den „Palandt”, endlich umzubenennen, um dieser „grotesken Ehrerweisung“ ein Ende zu setzen, so die Initiative.
Freilich, der „Palandt” ist nicht das einzige
Nazi-kontaminierte Sammlerwerk im Verlagsprogramm. Auch der
„Schönfelder”, benannt nach dem Erfinder der Gesetzessammlung
Heinrich Schönfelder, einem Mann, der 1933 der NSDAP sowie dem Bund
Nationalsozialistischer Deutscher Juristen beitrat und 1942 als
Kriegsgerichtsrat in Italien seinen Dienst tat. Im Juli 1944 wurde er
bei einem Partisanenangriff getötet.
Die 1931 von Schönfelder begründete Sammlung mit dem typischen roten
Einband ist eine der wichtigsten Gesetzessammlungen der Richterschaft.
Bereits 1935, damals bereits in der 5. Auflage, bejubelte Schönfelder,
dass es ihm gelungen sei, die „zwölf wichtigsten Gesetze der Regierung
des Führers“ darin aufzunehmen, darunter selbstverständlich auch die
„Nürnberger Gesetze“.
Alle Gesetze sind durchnumeriert. Das erste trägt aber nicht die Nummer 1, sondern die Nummer 20. Warum? Weil der Herausgeber seinerzeit mit dem NSDAP-Parteiprogramm begann, dann folgten einige Rassengesetze, etwa unter Nr. 12a das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“. Und so beginnt der Schönfelder bis heute das BGB erst mit der Nummer 20. Bis 1943 wurde das Sammelwerk noch von Schönfelder selbst betreut. Seit der 14. Auflage von 1947 führt der Münchner Verlag C. H. Beck neben dem “Palandt” auch diese Gesetzessammlung fort, mittlerweile – 880 Seiten stark – in der 182. Ergänzungsauflage.
Schließlich Theodor Maunz, der Begründer des „Maunz-Dürig”, des bedeutendsten Grundgesetz-Kommentars: 1933 trat er der NSDAP und der SA bei, 1935 wurde er ordentlicher Professor für Öffentliches Recht in Freiburg. In seinen zahlreichen Texten war er bestrebt, dem NS-Regime juristische Legitimität zu verschaffen. Nach seinem Tod 1993 wurde bekannt, dass er eine enge Liaison mit der rechten „National-Zeitung” unterhalten hatte. Maunz, gerne als „Kronjurist des Grundgesetzes” bezeichnet – von 1957 bis 1964 auch bayerischer Kultusminister und CSU-Mitglied – war bei dem rechtsradikalen Blatt anonym als Rechtsberater und Autor tätig.
Für den Münchner Beck Verlag kein Grund, die Zusammenarbeit infrage zu stellen. Bis heute ist der “Maunz-Dürig” im Sortiment. Für 478 Euro liefert der Verlag die 94. Auflage der Loseblattsammlung portofrei.
Halten wir fest: Auch wenn sich – wie schon bei Gründerkollege Palandt – Person und Funktion auch beim „Schönfelder” und beim „Maunz-Düring” auf wundersame Weise „voneinander gelöst“ haben und fortan „ein Eigenleben führen“, greift die kommende und derzeitige Juristen-Generation hierzulande bis heute nach den drei Gesetzes-Kommentaren trotz Nazi-kontaminierter Herausgeberschaft, demnächst mit neuem Titel-Etikett.
Man möchte dem Verlag zurufen: Wie wäre es bei zukünftigen Ergänzungsauflagen mit einem Nachwort, einem aufklärenden, ausführlichen Text über die Karrieren der Ex-Namensgeber? Gerne auch einen selbstkritischen Hinweis auf eigene fragwürdige publizistische Kontinuitäten.