Der demographische Wandel, bei dem immer weniger Junge für immer mehr Alte aufkommen müssen, bringt, verstärkt durch die jüngste Pandemie, Siechtum und Sterben ins Bewusstsein zurück. Die Personelle Unterversorgung in fast allen Bereichen, die sich darauf beziehen, macht das Ableben zum Skandal. Wie verhält sich die moderne Medizin zum Pflegenotstand und wie die Kirchen zum selbstbestimmten Sterben? Der österreichische Urologe und Universitätsprofessor Gero Hohlbrugger hat sich mit vielen Aspekten des Notstands befasst und in einem dreiteiligen Essay zusammengefaßt. Hier ist der zweite Teil.
Spiritualität als
ein höheres Bewusstsein deutet sich nur in einzelnen genialen oder
mystisch begabten Individuen an, die sich unter ihren Mitmenschen und
gegenüber ihren eigenen, von der Umwelt geprägten gesellschaftskonformen
Vorstellungen oft ebenso verloren und heimatlos vorkommen und von
dorther ebenso missbilligt werden (CF v Weizsäcker, G
Krishna). Mittels spezieller, jahrelang und täglich geübter
Meditationstechniken soll als höchstes Ziel die Erleuchtung bzw. nach
Sri Aurobindo das Erreichen eines supramentalen Bewusstseins gelingen.
Aber bereits der Weg dorthin lässt die Seele von unnötig bedrückendem
Ballast befreien, das Leben ordnen, Sinn finden, und Anpassung an neue
Begebenheiten vornehmen. In der „aufgeklärten“ Naturwissenschaft stehen
derlei Belange nicht zur Debatte. Diesbezügliche Fragen werden in der
Regel nicht gestellt und wenn, von dort lieber nicht beantwortet. Das
Christentum stellt solchen Fragen die zehn Gebote entgegen. Festgehalten
auf zwei Tontafeln, die Moses am Berg Sinai direkt von Gott daselbst
durch einen brennenden Dornbusch ausgehändigt wurden. Später wurden die
Gebote um die sogenannten Todsünden erweitert. Es handelt sich beim
Christentum also vornehmlich um Verhaltensregeln für den Einzelnen und
für die Gesellschaft, deren Einhaltung kleinere wie größere Gemeinwesen
wie Kitt zusammenhalten half. Sieht man von vereinzelten
Ordensgemeinschaften ab, wurden Mystik und Spiritualität lieber außen
vor gelassen. Erst in neuerer Zeit wird während sogenannter Einkehrtage
das Erlernen von Meditationstechniken angeboten. Bestimmt nicht das
strenggenommen Eigentliche aber einen richtungweisenden Hauch von
Spiritualität können Gebete, Stillschweigen (beides allein oder in einer
Gruppe von Gleichgesinnten), gregorianischer Choral oder Kirchenmusik
von J. S. Bach bis A. Bruckner vermitteln.
Bei der Sterbebegleitung findet sich die ganze Bandbreite von
aspirituell bis zur Nähe der Erleuchtung. Beim Gros unserer Zeitgenossen
kann man mit Fug und Recht behaupten, von Spiritualität keine Ahnung zu
haben und sich darauf auch niemals einlassen zu wollen. Ein weiterer
Teil findet spirituelle Erfüllung beim Einswerden mit der Natur, als
Gott im Du aber manchmal sogar als Gott im Ich. Wiederum andere berufen
sich auf spirituelle Restbestände aus ihrer Zeit im lebendigen
christlichen Glauben. Die aktiv Meditierenden vereint die Suche nach dem
Licht der „Erleuchtung“. Es drängt, in diesem Licht eine Verwandtschaft
mit dem helllichtenen Horizont der Nahtoderfahrenen (Elisabeth Kübler
Ross) zu vermuten. Da wie dort blinken Signale der absoluten
Selbstaufgabe bzw. des Loslassens von allem organischen
Menschgewordenseins. Ob man nun in der Tat jeweils haarscharf am
Übergang ins Jenseits vorbeischrammte, bleibt Glaubenssache. Selbst
neueste Einsichten in die Neurobiologie des Sterbens tragen nichts zur
aufhellenden Klärung dieses Mysteriums bei. Momente vor dem Tod und
prinzipiell reversibel (Voraussetzung über Nahtoderfahrungen zu
berichten) äußert sich der Kollaps des ionalen Spannungsgefälles
zwischen dem Neuronen-Inneren (Nervenzellen) und deren Umgebung als
„Tsunami“ im Gehirn. Wenn wir unter Seele eine Form der Energie
verstehen, ist speziell anhand des physikalischen Gesetzes vom „Erhalt
der Energie“ nahezu unmöglich, dass sich die Seele im Zuge des
Sterbeprozesses ins Nichts verliert. Und wenn Körper und Seele doch eine
unzertrennliche Einheit waren?
Bei der Meditation handelt es sich um unterschiedlich intensive
Erfahrungen von ureigenem Charakter. Mancherorts wird sogar behauptet,
erfüllte Sexualität sei die unterste Stufe der Erleuchtung. Ob und
inwieweit sich Sterbebegleitung adäquat auf Spiritualität einstellen und
das als Hebel zur Beseitigung der Todesangst nützen kann, bleibt
angesichts der Bandbreite von aspirituell bis zur Nähe der Erleuchtung
eher unbeantwortbar. Vielleicht findet sich ein Yogameister, der einem
spirituell unbedarft Sterbenden das Meditieren beibringt. Mich
jedenfalls hat das neuerliche Schmökern in CF v Weizsäcksers und G
Krishnas Buch als Vorbereitung zu diesem Text veranlasst, demnächst den
Wiedereinstieg in die transzendentale Meditation in Angriff nehmen zu
wollen.
VERGEISTIGUNG UND ZURÜCK (Ge. Ho. 1985)
Die Himmelstür stand offen, ich sah was sonst entrückt,
bohrend Fragen schwiegen, Erleuchtung schien geglückt.
Memento homo, bist Erdenbürger nach wie vor.
Nimm meine Hand Vertrauen, ich folge Deiner Spur.
5) Todesangst und Spiritualität
Mit René
Descartes’ Leitsatz „cogito ergo sum“ (ich denke also bin ich) startete
die „Aufklärung“ mit Forscherneugier, Wissen und Verstand die Eroberung
des Abendlandes aus den dogmatischen Fängen christlichen Glaubens. Es
galt nur mehr das messbare und experimentell überprüfbare Faktum. Anhand
des Paradigmas (Leitidee) von „Intersubjektivität (für alle gleiches
Wahrnehmen und Verstehen) und Reproduzierbarkeit“ eines jeden
Experiments, gediehen dem naturwissenschaftlich-technischen
Fortschreiten nicht nur ungeahnte Erkenntnisgewinne, sondern genauso
Konsum- und Gebrauchsgüter zum Wohle der Allgemeinheit. Der Erfolgsjubel
verführte zu Hybris und Machbarkeitswahn. Als Kehrseite der
Erfolgsstory haben sich schon geraume Zeit sozialer Friede und Friede
mit der Natur fatal ineinander verkeilt (Klaus Michael Meyer-Abich,
1984-1987 Wissenschaftssenator in Hamburg). Wirtschaftswachstum mitsamt
Wegwerfkultur ohne jedes Innehalten bürgt für sozialen Frieden via
Luxus, Brot und Spielen. Mit dem Erhalt unserer Lebensgrundlagen auf
diesem Planeten dürfte dieses politische Konzept à la long unvereinbar
sein.
Mit Todesangst, Sterben und Tod hatten die Aufklärer nur wenig am Hut
und überließen das sich sämtlichen Messparametern entziehende Terrain
weiterhin den Christen oder gar deren Mystikern. Als hätte er den
neuzeitlichen Denktrend des Ausklammerns des Lebensendes vorausgeahnt,
hat Michel de Montaigne (1533-92) dagegen angeschrieben. In seinen
Essais behandelt er das Thema Tod jetztzeitig, plausibel, umfassend
gegen irgendmögliche Kontrapunkte austariert, frei von spekulativen
Dogmatismen. Auf den Punkt gebracht, plädiert er dafür, den Tod ständig
im Sinn zu führen, um sich an ihn zu gewöhnen, und dergestalt seinen
Schrecken fern zu halten. Damit verfolgte er die Spur, die der Stoiker
Epiktet aus dem antiken Griechenland hinterlassen hat. Heute wird dieses
Erbe – wie von Heinz Nussbaumer eindrucksvoll geschildert – von den
Mönchen am Berg Athos hochgehalten. Nicht nur sie, auch ihre Gäste
können versichern, dass die Todesangst schrittweise mit jeder einzelnen
Simulation des eigenen Todes abnimmt. Auch wenn der Einstieg in solche
Übungen einige Überwindung kostet: Er lohnt ganz bestimmt. Im
Kirchenjahr wird wenigstens zu Beginn der Fastenzeit Asche auf die Stirn
der Gläubigen gestrichen und dazu stimmig ins Gewissen geflüstert:
„Bedenke, der Mensch besteht aus Asche, und kehrt dorthin
zurück!“.
Wann immer ich jemanden en passant frage, wie sie/er es mit dem Tod
halte, bekomme ich fast immer ein und dieselbe Antwort, auch von
denjenigen, deren baldiges Absterben das welkende Gesicht verrät: Für
derlei trübe Gedanken sei es noch viel zu früh! Es hat sich leider noch
immer nicht herumgesprochen, dass Montaignes Methode durchaus imstande
wäre, das Lebensglück im Diesseits auf standfest solidere Beine zu
stellen. Das bewundernswerteste an seinem Opus bleibt der Umstand, dass
er ca. 200(!) Jahre vor I. Kant daran ging, anstelle bzw. ergänzend zum
Christentum ein ethisches Koordinatensystem für die Einzelnen sowie für
die Gesellschaft zu entwerfen. Um die aktuelle Tabuisierung der Themen
„Sterben, Tod und Todesangst “ zu entkrampfen, gehörte seine „ars
moriendi“ (die Kunst zu sterben) oder ein Pendant als wesentlicher
Aspekt der Schule des Lebens ohne Zweifel in jeden Lehrplan des
Ethikunterrichts für über 10-jährige Schüler. Damit alleine dürfte
jeglicher Panik im Eintrittsfall Einhalt geboten sein. Gegen Trauer wäre
ja nichts einzuwenden. Das Thematisieren des eigenen, familiären oder
fremden Sterbens können Massenerschiessungen in virtuellen Shooter Games
aus Spielkonsolen oder Web bestimmt nicht ersetzen. Die neuerdings als
didaktisch „abwegig“ bewertete Brutalität der Grimm’schen Märchen kann
die der Shooter Games schwerlich übertroffen haben.
Ägyptische Pharaonen pflegten neben einer Festtafel einbalsamierte
Mumien oder Leichen frisch Verstorbener aufzustellen. Die Maßnahme
sollte die Gäste von eventuell tödlich endender Völlerei abhalten oder
daran erinnern, dass die Mahlzeit selbst vergiftet oder verdorben sein
konnte. Darüber hinaus galt es, das Bewusstsein über die Verletzlichkeit
menschlichen Lebens wach zu halten. Es wurde sozusagen dem Effekt von
Naturkatastrophen (Heuschreckenplagen), Kriegen, Seuchen und sonstigen
Unbilden wie Säuglingssterblichkeit nachgeholfen. Der wiederholte Kampf
des einzelnen und der Gesellschaft ums Überleben half gedeihliches
Miteinander, Wertschätzung des Daseins, implizit des Lebensendes und der
Lebensfreude, zu fördern. Der Erfolg des
naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts hat diesen Kampf sehr
wesentlich erleichtert, das Bedürfnis nach Sicherheit bzw.
Todesverhinderung hat inzwischen oberste Priorität, und wie als Ersatz
für frühere Unbilden haben sich Konkurrenzdruck der Ich-AGs und die
Spaltung der Gesellschaft in den Vordergrund geschoben. Zukunftsängste
und Albträume wollen kein Ende nehmen. Das Sterben wurde hinter die
Mauern von Pflegeheimen, Kliniken, und Hospizen verbannt. Erstaunlich
viele Zeitgenossen hatten noch nie Gelegenheit, einem „realen“ Leichnam
zu begegnen. Man hat oft Angst, sterbende Angehörige oder Freundinnen
und Freunde zu besuchen. Wie oder was soll man mit denen schon
besprechen? Somit ist die wesentliche Konfrontation mit Vergeblichkeit
bzw. Endlichkeit als Schlüssel für ein humaneres Miteinander verloren
gegangen. Kürzlich plädierte Tobias Haberl im Süddeutsche Zeitung
Magazin für eine obligatorische, mindestens einen Monat dauernde Auszeit
von Ausbildung oder Beruf, um als Praktikant den Tod aus nächster Nähe
in Pflegeheimen, Hospizen oder über Mitarbeit bei einem Bestatter zu
erfahren. In der Auseinandersetzung mit dem (eigenen) Sterben sieht er
nicht nur Linderung der eigenen Todesangst, sondern auch Investition in
eine solidarisch krisenfestere Gesellschaft.
6) Todesangst und Aufklärung

Sämtliche
im Zuge der Aufklärung getätigten technischen Entwicklungsschritte
wurden, so sie Erfolg versprachen, auch den Heilkundigen zugespielt und
von denen mit meist großer Begeisterung aufgenommen. Auf diese Weise
entstand im Lauf der Zeit der sog. „medizinisch-ökonomisch-industrielle
Komplex“ als Born nicht enden wollender Benefizien für Patienten und für
zu höheren Sprossen der Karriereleiter emporstrebende Akteure. Er
umfasste Diagnostik, Chirurgie, Pharmazie, Apparateassistenz,
Intensivmedizin, Marktforschung und Versicherungen. Insbesondere die
Abkehr vom ganzheitlichen Konzept (gesunder Geist in gesundem Körper),
hin zur Spezialisierung auf diverse überschaubarere Fachgebiete zog
einen Expertise geleiteten Siegeszug der modernen Medizin nicht nur
hinsichtlich Heilung einzelner körperlicher Defekte, sondern auch eine
signifikante Verlängerung des Lebens nach sich. Seuchen wurden
ausgerottet, Infektionen kontrollierbar, somatische Defekte chirurgisch
bzw. medikamentös behoben. Parallel zur Vermehrung des allgemeinen
Wohlstands hat sich der Schwerpunkt der Diagnosen zu Langzeitfolgen von
falscher Ernährung und von Bewegungsmangel verlagert. Die früher als
wertvolle Basis des Generationenvertrages gepriesene demographische
Alterspyramide ist unwiderruflich Geschichte: Sie ist in den westlichen
Industriestaaten dabei, kopfständig zu werden. Dadurch verteilt sich das
Tragen der Obsorge für die Altvorderen auf immer weniger Schultern der
Jüngeren. Der vom Konzept des Absterbens als Versagen angetriebene
Machbarkeitswahn der modernen Medizin verdrängt, wie früher die
„Wunderheilung“, die Todesangst wenigstens vorübergehend durch
Verlängerung der Lebensfrist, erfordert aber stetig wachsenden Bedarf an
ambulanter sowie stationärer Betreuung und Pflegedienst.
In Anbetracht des Kopfstandes der Alterspyramide ist nicht
ausgeschlossen sondern eher wahrscheinlich, dass die Jüngeren infolge
der stetigen Zunahme der von den Älteren aufgebürdeten Last den
Generationenvertrag kündigen. Der Tagessatz der NeuroReha (Zihlschlacht,
Schweiz) beträgt aktuell SFR
1.160.- für die Grundversicherten und SFR 1.560.- für Privatpatienten. In
Österreich und Deutschland sind die Tagessätze nur unmerklich
preiswerter. Obwohl finanzielles Gegenwägen, weil verpönt, noch immer zu
den No-Goes gehört, spricht absolut nichts dagegen, sich diese Beträge
ganz andächtig auf der Zunge zergehen zu lassen. Schon längst wären
verantwortlich vorausschauende Politiker in der Pflicht, den im
Gesundheitswesen (und nicht nur da!) stetig steigenden Anspruch auf
knapper werdende Ressourcen ernst zu nehmen, dem Volke eventuell
notwendig werdende Anpassungen vorzuschlagen, und einen konkreten
Maßnahmenkatalog, in für alle verständlicher Form, zu erstellen. Das
gilt insbesondere für den Fall, das jetzige System ist nicht mehr für
alle und jeden finanzierbar; die Kranken- und Altenpflege läuft
personell aus dem Ruder; und für den Fall von Bedrohungsszenarios für
die Allgemeinheit durch Naturkatastrophen, Krieg etc.
Obwohl die Mehrheit der Betroffenen und deren Angehörige noch immer den
Lockungen des Angebots vorübergehender Lebensverlängerung durch
ärztliche Intervention erliegen, entwickelt sich scheinbar unaufhaltsam
deren Paradox im Sinne einer heillosen Angst vor einer dadurch
induzierten Verlängerung eines qualvollen Dahinsiechens bis zu dessen
erlösendem Ende. Ob und inwieweit sogenannte „overtreatments“ das als
Ausgangspunkt jeden ärztlichen Handelns postulierte „primum non nocere“
(zu allererst nicht schaden!) in Frage stellen, wird immer häufiger
diskutiert. Leider eröffnen dabei von Loslassängsten geleitete
Angehörige mit juristisch proklamierten Einwänden und mit Drohung auf
Schadenersatz Nebenfronten, die oft weitab vom ureigenen
Erwartungshorizont (bloß kein endlos dahinsiechendes Martyrium!) der
Patienten liegen. Der Umstand hängt wie ein Damoklesschwert über
medizinischen Entscheidungen. Sieht man von der vorübergehenden
Atmungsunterstützung für Corona-Erkrankte einmal ab, befinden sich
allein in Deutschland 16.000(!) Beatmungsmaschinen im Dauerbetrieb.
Dabei lässt sich meist schwerlich abstreiten, dass der Indikation zu
solcher „Behandlung“ nicht Angst vor dem Lebensende und nicht Freude am
Leben sondern eher Geschäftsinteresse zugrunde lag. Dieser ans Absurde
grenzenden Usance ließe sich bestimmt eine Reihe weiterer hinzufügen.
Dazu zählten die hiesigen 1000 Patienten im Wachkoma. Die verdanken ihre
fragwürdige erst seit ca. 50 Jahren ermöglichte Existenz einem
ehrgeizigen „Pionier“ der Neurologie. Mit einer hinterfraglosen und
geradezu frappierenden Selbstverständlichkeit wurde mir dereinst ein
über 80(!)-jähriger Wachkomapatient vorgestellt, der zudem nahezu
täglich über das Bauchfell zu dialysieren (=
künstliche Niere!) war. Bereits jetzt bleibt der Zugang zum gesamten
Pouvoir der modernen Medizin in den USA und Großbritannien nur der
wohlhabenderen Bevölkerung vorbehalten. Für die Armen der dritten und
vierten Welt gelten noch viel restriktivere finanzielle
Zugangsbarrieren. Somit erübrigt sich zumindest für die das bei uns oft
trostlose Ringen der Betroffenen samt Angehörigen um das Pro versus das
Kontra eines Therapieantritts oder -abbruchs. Die internationale
Ärzte-Initiative „Choosing Wisely“ geht lt. Google Recherche davon aus,
dass bis zu 30 Prozent der medizinischen Leistungen in westlichen
Industrieländern unnötig sind. Sie belasten zudem die Patienten oder
gefährden sie sogar – und sie verschwenden Geld und Ressourcen wie die
Zeit von ÄrztInnen und Pflegekräften. All das fehlt dann oft für
wirklich notwendige Behandlungen. Nach gründlichem Abwägen wurden
Indikationsbeschränkungen für sämtliche medizinischen Fachbereiche
vorgeschlagen. In dieselbe Kerbe schlägt Jochen Kußmann, einst Chef der
Hamburger Klinik Schön. Er befindet sich in Rente, hat den OP-Kittel an
den Nagel gehängt, will aber weiterhin Patienten helfen, klug über Ihre
Behandlung zu entscheiden. Von einem Kollegen habe ich in Erfahrung
gebracht, dass in seinem Krankenhaus als Entscheidungshilfe und zum
Schutz vor eventuellen juridischen Folgen eines Therapieabbruchs oder
einer OP-Ablehnung eine Ethikkommission gegründet wurde. Der
medizinische Machbarkeitswahn ist offensichtlich an Grenzen
gestoßen.
7) Moderne Medizin: Helfer gegen und/oder Ursache von Todesangst?
Seit
geraumer Zeit wird das Sterben sukzessive von häuslicher Pflege in den
gewohnten und liebgewonnenen eigenen vier Wänden an Krankenanstalten und
dort vorzugsweise an dafür apparativ und personell bestens gerüstete
Palliativstationen bzw. Hospize weiter gereicht. Bis dato handelt es
sich bei diesen Institutionen um die aktuell vollkommenste Art,
Todesängste zu überwinden. Nebst an Perfektion grenzender Pflege wird,
wenn es darauf ankommt, Schmerzfreiheit schlussendlich durch palliative
Sedierung (Erläuterung unter Rubrik Nr. 9) garantiert. Leider sind
Kapazitäten dieser Stationen begrenzt, und für Betroffene bleibt oft nur
die Hoffnung, wenigstens auf einer Warteliste gereiht zu werden. Es
entbehrt nicht einer gewissen Brisanz, dass erst die augenscheinliche
Unfähigkeit der modernen Medizin mit dem Sterben umzugehen, Idee und
Gründung von Hospizen nach sich zog.
Von allen größeren Hospizabteilungen in Österreich werden zudem Kurse in
Sterbebegleitung für interessierte Sterbebegleiter*innen angeboten. Die
erstrecken sich über mehrere Monate und finden vornehmlich an
Wochenenden statt. Es geht vor allen Dingen darum, mögliche, von absolut
unnotwendiger Kommunikationsinkompetenz geleitete Missverständnisse
sowie Krisen am Lebensende erst gar nicht entstehen zu lassen. In diesem
Sinne werden Probleme, Bedenken und Wünsche nicht nur der Sterbenden
sondern auch der nächsten Angehörigen und Freunde erörtert. In
Österreich wurde inzwischen der Nachweis eines Kursbesuchs für jede*n
angehende*n Sterbebegleiter*in zur Pflicht. Nach meiner persönlich
durchaus positiven Erfahrung wünschte ich, dass auch sämtliche
Aspirant*innen für Pflege- oder Arztberuf vor Studiumbeginn, spätestens
vor Dienstantritt, einen solchen Kurs verpflichtend belegen sollten. Das
müsste eine spürbare Entspannung für Kranke und Krankenhäuser
hinsichtlich Linderung von Todesängsten zur Folge haben. In das
Medizinstudium ist meines Wissens eine solche Lehrveranstaltung noch
immer nicht integriert. Keineswegs hinter vorgehaltener Hand, sondern
laut und offen bekenne ich, ein solcher Kurs am Beginn meines ärztlichen
Berufsweges hätte einige Kalamitäten nicht nur mir, sondern genauso
meinen sich mir anvertrauenden Patienten erspart. Dem ärztlichen
Aufklärungsgespräch über fatale Diagnosen (nicht nur Krebs, sondern auch
neuromuskuläre Leiden oder Demenz z.B.) bleibt trotz bestmöglich
empathischen Bemühens und des Wegweisens zu Selbsthilfegruppen,
Beratungsadressen, Infobroschüren oder zu psychotherapeutischem Beistand
letztendlich fast immer ein Makel des Unvollkommenen und
Bruchstückhaften hängen. Das hat im Wesentlichen damit zu tun, dass bis
dahin jeder Auseinandersetzung mit dem Lebensende tunlichst aus dem Weg
gegangen wurde. Somit trifft die fatale Diagnose jählings und völlig
unvorbereitet. Unbestreitbare Therapieerfolge hin zu weniger aggressiven
Krankheitsverläufen und daraus hergeleitete Hoffnungen haben die
Stimmung solcher Gespräche in letzter Zeit merklich entspannt. Damit ist
das grundlegende Problem der prinzipiellen Akzeptanz des Lebensendes
leider nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Aber oft legt allein die
gewonnene Zeit Balsam auf die Seele der durch eine Leben-limitierenden
Diagnose Erschütterten. Aber irgendwann wird trotz alledem das Ende der
Fahnenstange erreicht sein. Zu meiner Ausbildungszeit wurde das Thema
„Lebensende“ auch von ärztlicher Seite bis zum letzten Atemzug wie ein
Verkehrsinfarkt großräumig umfahren. Erst angesichts der
Einwilligungspflicht in Nebenwirkungs-intensive Behandlungsoptionen und
chirurgische Interventionen wurde die vorherige Information über Chancen
und Risiken zur alternativlosen Basis für jedes weitere therapeutische
Vorgehen. Anlässlich eines mehrtägigen Praktikums an der
anthroposophischen Universitätsklinik Witten/Herdeke durfte ich
erfahren, dass dort üblicherweise ein Arzt den jeweiligen Patient*innen
nach der Vermittlung einer fatalen Diagnose drei Tage lang begleitend
zur Seite steht. Ein derartiger Aufwand, ob wünschenswert, berechtigt
oder angemessen, kann in einer zeitgenormten Kassen- oder Wahlarztpraxis
bzw. auf einer konventionellen Krankenstation leider nicht geboten
werden.
Sterbebegleitung erfordert ganz offensichtlich nicht nur guten Willen,
Empathie und kommunikative Kompetenz, sondern auch ein gehöriges Maß an
Professionalität. Ist an deren Stelle nur routinierte
Generalstabsplanung für Angehörige, Ärzte und Pflegepersonal gegeben,
entbehrt allein der Rahmen von Kliniken in der Regel jetzt ganz
besonders herbeigesehnte, wohltuend tröstende Herzenswärme. Diesem Manko
stemmen sich zwar immer zahlreicher werdende auffallend stille
Heldinnen und Helden mit selbstaufopfernder Hingabe und Handreiche
entgegen. In dem Zusammenhang bleibt aber zu betonen, dass nicht nur die
Sterbenden, sondern auch deren begleitende Angehörige in ihrer
Betroffenheit ebenso dringend stützende Haltgebung nötig hätten.
Bekanntlich propagieren sich in einem Raum wie einem Krankenzimmer
Furcht und Trauer beinahe sich gegenseitig verstärkend, von einem
Individuum zum nächsten. Es soll nicht selten vorkommen, dass sich in
der Folge sogar Sterbende bemüßigt fühlen, das fatale Geschehen zu
stoppen, indem sie von den Angehörigen die Führungsrolle im tröstenden
Beistand übernehmen.
Inhaltliche Schwerpunkte des Einführungskurses in die Lebens-,
Sterbe- und Trauerbegleitung der Caritas Wien: leben können
bis zuletzt; persönliche Auseinandersetzung mit Leben, Sterben,
Krankheit und Tod; Begleitung schwerkranker Menschen: Psychische,
physische, soziale und spirituelle Bedürfnisse von Sterbenden und
Begleiterinnen und Begleiter; Ängste und Gefühle, Möglichkeiten und
Grenzen in der Begleitung Schwerkranker; Schmerzlinderung,
Symptomkontrolle; Sprach- und Ausdrucksformen mit Sterbenden;
Wahrhaftigkeit am Krankenbett; Begleitung in der Zeit der Trauer;
Pflegen als sozialer Prozess: Maßnahmen und Hilfsmittel; ethische und
rechtliche Fragen im Kontext mit Sterben und Tod; Aktive und passive
Sterbehilfe, Euthanasie und Patientenverfügung; ehrenamtliche Mitarbeit
in Hospizdiensten: Möglichkeit und Bedingungen, vorbereitendes
Praktikum.
Inhaltliche Schwerpunkte des Einführungskurses in die Lebens-,
Sterbe- und Trauerbegleitung des Buddhistischen Zentrums
Wien: Woher ich komme; was mich leitet oder antreibt; was
mich im Rahmen hält; im Du erlebe ich mich; im Kreislauf des Lebens;
Aspekte zum Lebensende und dessen Begleitung aus buddhistischem,
christlichen, jüdischen und muslimischen Verständnis; Ethik und
juridische Aspekte am Lebensende; Schmerzmedizin und Palliative Care;
wenn Kinder/Jugendliche schwer krank sind und sterben;
Demenzerkrankungen; Angehörige im Fokus der Hospizarbeit; alles um das
Thema Bestattung; Buddhismus am Lebensende; pflegerische Handreichungen
am Sterbebett.
8) Sterbebegleitung

„Du sollst nicht töten“ stand bereits auf den Tontafeln, die Moses am Berg Sinai vom Gott des alten Testaments durch einen brennenden Dornbusch übergeben wurden. Bei Mord handelt es sich um vorsätzliches Töten eines Mitmenschen, das gesellschaftlich geächtet und mit der Ausnahme von z.B. Angriff oder Verteidigung im „erklärten“ Krieg strafrechtlich geahndet wird. Ein(e) Selbstmörder*in kann nur postum und in Abwesenheit verurteilt werden, jegliche Strafe für die Missetat könnte bestenfalls eine Stellvertreterin oder ein Stellvertreter auf sich nehmen. Nichtsdestotrotz hat das Christentum Selbsttötung (Suizid) früher insofern sanktioniert, indem den Unglücklichen ihre letzte Ruhestätte meist anonym und nur außerhalb der Friedhofsmauern zugewiesen wurde. Dass dies die ganze familiäre Umgebung nicht nur anlässlich des Grabbesuches peinsam mitbetraf, wurde billigend in Kauf genommen. Nicht nur daraus können wir weiterspinnen, dass es sich auch bei Suizid um Gewalt handelt, die tragische Konsequenzen an die am Leben gebliebenen Freunde und Angehörige weiterleitet. Das reiht sich nahtlos an die seelenmarternde Hinterlassenschaft, die Nachkommen von Tätern(!) des Naziterrors gar nicht selten zu verdauen haben. Dieser Umstand darf keinesfalls gegen die seelenmarternde Hinterlassenschaft für die Opfer gegengerechnet werden. Prinzipiell scheinen mit dem Aspekt der Hinterlassenschaft Hinterbliebene von Tätern und Opfern vielleicht nicht im selben Boot, aber entlang desselben Fließgewässers zu treiben. Bemerkenswert bleibt, dass nach all dem Gegräuel auffallend viele Täter wie auch überlebende Opfer ein stattliches Alter erreicht haben. Die Letzteren hatten sich wahrscheinlich Stein und Bein geschworen, sich dem Terror unter gar keinen Umständen zu beugen. Diese Einstellung dürfte sie auch nach der Befreiung durch Ihr Leben bis ins hohe Alter über sämtliche Hürden des Lebens getragen haben. Wenn ich irgendwo eine Erklärung für das Langleben vieler Täter gefunden hätte, ich würde mich weigern, hier darauf aufmerksam zu machen.
Bei aktiver Sterbehilfe handelt es sich um Verabreichung einer sofort zum Tode führenden Wirkdosis. Unter assistiertem Suizid (früher passive Sterbehilfe) versteht man gemäß Deutscher Stiftung Patientenschutz die „Beihilfe zum Suizid“. Der Sterbewillige nimmt dazu selbstständig eine tödliche Substanz ein. Eine andere Person, d.h. ein Angehöriger oder nahestehender Freund, Arzt oder Sterbehelfer hat hierzu einen Beitrag geleistet. Kürzlich wurde dieser Beitrag in Deutschland und Österreich vom Gesetzgeber straffrei gestellt. Wie mit dieser Neuerung letztlich praktisch umgegangen werden soll, und wie sie sicher und bestimmt sie gegen Missbrauch einzuhegen wäre, ist noch nicht definitiv geklärt. Das anhaltend belastende Thema Euthanasie der Nazizeit und Gründe des eventuellen Missbrauchs im Kontext mit assistiertem Suizid sind durchaus ernst zu nehmen. In der Schweiz wurde assistierter Suizid unter streng einzuhaltenden und überprüfbaren Kriterien schon vor vielen Jahren legalisiert. Vor allen Dingen muss sicher gestellt sein, dass Sterbehelfer oder der um Assistenz Bittende auf keinen Fall unter Nötigungsdruck von welcher Seite auch immer stehen, jeder geringste Verdacht der finanziellen Vorteilsnahme ausgeräumt werden kann, die Einhaltung einer mindestens 6 Monate währenden Frist zwischen dem ersten Äußern des Wunsches und dessen Vollzug mit engmaschigen Verlaufskontrollen des psychologischen Status gewährleistet ist, und dass Angehörige bzw. Nahestehende in Kenntnis gesetzt wurden. Dass Sterbehilfeorganisationen wie Dignitas oder Exit, die von selbstloser Unterstützung nichts bis wenig halten, bei der finanziellen Vorteilsnahme nicht schärfer an die Kandare genommen werden, finde ich merkwürdig, skandalös und wider die vereinbarten, nach wie vor geltenden Einschlusskriterien. Zu der in Österreich mit Jänner 2022 in Kraft getretenden Straffreistellung der Suizid-Assistenz forderte kürzlich Ivo Greiter Richter*innen als letzte Entscheidungsinstanz für deren Vollzug. Die sollten helfen, Missbrauch speziell in Erbangelegenheiten zu minimieren. Meiner Meinung nach gehörte dazu auch eine (ev. pensionierte) Ärztin oder ein Arzt, die sich bereits an vorderster Front wie z.B. Intensivstation, Neuro-Reha oder im Notarztdienst bewährt und ihr Urteilsvermögen mit einer Zusatzausbildung in Sterbebegleitung oder in den Basics von Philosophie, Moraltheologie und/oder Ethik nachjustiert haben. Mir ist leider aufgefallen, dass im Zuge der oft heftigen Diskussionen um Pro oder Kontra assistiertem Suizid nur selten von Liebe, Würde, Erbarmen, Mitleid, nicht-mehr-zuschauen- oder nicht-helfen-Können die Rede war und ist. Mit Nachdruck aber völlig unangemessen und ohne Genierer wird nicht selten von Gegenargumentierern sogar die Mordkeule geschwungen. Die dazu unabdingbaren Motive wie Verhinderung eines Nachteils, Erringung eines Vorteils, Neid und Eifersucht (Femicid), von Habgier getriebener Raub, Rache, Terror, Lust etc. werden ganz gezielt und bewusst unterschlagen. Was hat dann Sterbehilfe mit Mord zu tun? Gibt es überhaupt jemanden, der noch nie aus tiefstem Herzensgrund einem schier endlosen Sterbensgang den alsbaldigen und erlösenden Tod „gewünscht“ hat? Den Zugang zu assistiertem Suizid beschränken die Rezeptpflicht der erforderlichen Medikation, die Weigerung zur Assistenz des gerufenen Arztes, nächster Angehöriger oder einer Person des engsten Freundeskreises und fehlende Listen assistenzbereiter Ärztinnen und Ärzte. Ein vorsorglich angelegtes, für alle Fälle bereitstehendes privates Geheimdepot an erforderlicher Medikation sollte die Todesangst des Inhabers lindern. Ob daraus jemals entnommen und ob der letzte Wille erfolgreich in die Tat umgesetzt wird, entscheidet letztendlich die dazu unerlässliche, erhalten gebliebene Fähigkeit der Handhabung. Auch wenn die bereits verloren ging: Ein den gerufenen Arzt zu assistiertem Suizid oder aktiver Sterbehilfe verpflichtendes Gesetz wird hoffentlich nie Realität. Andererseits hat sich erwiesen, dass ein erheblicher Teil von Aspiranten des assistierten Suizids davon Abstand nimmt, wenn Aussicht besteht, dass der spontane Tod in absehbarer Zeit und problemlos eintreten wird.
Hierzulande wird von Vertretern der Kirchen der Straffreistellung des assistierten Suizids und der aktiven Sterbehilfe nach wie vor mut-trotzig entgegen gehalten. Von den aus dieser Ecke gebetsmühlenartig tönenden Dammbrüchen zu massenmörderischem Missbrauch selbst des assistierten Suizids kann zumindest in der Schweiz noch immer keine Rede sein. Sein Anteil am Sterben insgesamt rangiert noch immer im unteren einstelligen Prozentbereich. Liegt nicht ebenso Missbrauch der Vertrauensstellung nach Geheimisgelobens vor, wenn Ärzt*innen den Wunsch nach assistiertem Suizid sofort mit der Diagnose „akute Depression“ beantworten und aus diesem Grund die Einweisung in eine geschlossene Anstalt veranlassen? Der in der Tat bestens gelaunte, souverän auftretende akut oder chronisch Sterbewillige muss wohl erst noch erfunden werden. Meistens bricht ein Sterbewunsch nicht als akuter Affekt urplötzlich vom heiteren Himmel, sondern reift mitunter in jahrelangem Zweifel an, sowie Hader mit sich selbst. Er markiert den Beginn einer absehbar krankheitsbedingten Schmerzkarriere oder eine bestimmte Schwellüberschreitung unerträglicher Altersgebrechen. Ein immer mehr um sich greifender Kulturwandel hat die Frage nach Sterbehilfe zuletzt mächtig befeuert. Der besteht im Wesentlichen darin, dass der vom Konzept des Absterbens als Versagen angetriebene Erfolg der modernen Medizin als Machbarkeitswahn zum selbstverständlichen Erwartungshorizont unserer Gesellschaft gehört. Ist nicht demaskierende Enttäuschung über ebendiesen Machbarkeitswahn oft erst Anlass für den Wunsch nach Lebensbeendigung und damit nichts anderes als des Wahnes Schubumkehr?
Opinion Leader der palliativen Sedierung konstatieren, dass durch deren gekonnte Anwendung assistierter Suizid generell obsolet geworden sei. Unter palliativer Sedierung versteht man die Verabreichung von Medikamenten (Morphium), die das Wachsein sterbender Patienten bis zur Bewusstlosigkeit dämpfen, um anders nicht beherrschbare (therapierefraktäre) Symptome wie Schmerzen, Atemnot, Übelkeit, Erbrechen, Angst oder Delirium in der letzten Lebensphase selbst unter Inkaufnahme eines früher einsetzenden Todes auszuschalten. Genau genommen übernehmen Palliativstationen und Hospize schulmedizinisch „austherapiertes“ Sterbenselend. Über das Elend vor der resignativen Zuweisung wird der Mantel des Schweigens gebreitet. Vom Kampf gegen die palliative Sedierung hat sich die katholische Kirche inzwischen zurückgezogen. Die Frage, ob es sich dabei nicht auch um aktive Sterbehilfe handelt, kümmert eigentlich niemanden mehr. Es gilt, den sich oft am Lebensende bis zur Therapieresistenz aggravierenden Schmerzen effizient und professionell Einhalt zu gebieten. Die Zeiten, in denen die Verabreichung von schmerzlindernden Opiaten unter dem Vorwand von dadurch evozierter gesetzwidriger Sucht(!) standfest und rigoros abgelehnt wurde, gehören hoffentlich gänzlich der Vergangenheit an. Die Schmerzkontrolle hat sich inzwischen einen Spitzenplatz in der Linderung von Todesangst erobert. Andererseits, den Zugang zu palliativer Sedierung für die „Allgemeinheit“ beschränkt der Mangel an Kapazitäten und Anzahl der Palliativ- und Hospizstationen. Vor dem Szenario des Pflegenotstands in Krankenhäusern und Altenheimen erscheint der seit Jahren gebetsmühlenartig vorgetragene Ruf nach Ausbau der Palliativbetreuung nur auf den ersten Blick tröstlich. Realistisch betrachtet handelt es sich dabei eher um Sand in den Augen während des Blicks auf den unabwendbar scheinenden zukünftigen Ausweg in die hartherzige Triage, wahrscheinlich von Arm gegen Reich und/oder von Alt gegen Jung. Zweifelsohne mehren sich in der Ärzteschaft und im Hauspflegebereich jetzt schon die stillen „Held*innen“, die zum terminalen „Primum non nocere“ (zuerst nicht schaden) bereit sind. Einverständnis der nächsten Angehörigen vorausgesetzt, sind Therapieabbruch und palliative Sedierung nach ärztlicher Verschreibung der dafür erforderlichen Dosis Morphium mancherorts in besonders aussichtslosen und bemitleidenswerten Fällen bereits klammheimliche Praxis der Hauskrankenpflege. Dafür wird das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung in Kauf genommen. Also palliative Sedierung ohne bürokratische Umwege und Filter. Gratwandlerische Duldung anstelle von Gericht und erstaunlicherweise ohne Aufschrei einer eventuell miteingeweihten Öffentlichkeit.
Im Film “Amour” hat uns Michael Haneke die
Konfliktgemengelage rund um assistierten Suizid oder aktive Sterbehilfe
brillant präzise verbildlicht. Ein mit den Jahren gereiftes und
beneidenswert glückselig gelassen ineinander gewobenes älteres Ehepaar
erfährt eine Zäsur durch einen die Frau unerwartet treffenden
Schlaganfall. Der verdammt sie zu pflegefälligem Weiterdasein, das den
vom festen Vorsatz „Bis dass der Tod euch scheidet“ beseelten, jetzt
fast noch liebevoller kümmernden Gatten maßlos überfordert. Die
gemeinsame Tochter bleibt geschäftig-kühl-distanziert, lehnt jede
Mithilfe ab und schlägt zum Entsetzen ihrer Mutter vor, die
Verantwortung sei wohl besser einem Krankenhaus zu delegieren. Die
Mutter wollte das auf gar keinen Fall. Für den jetzt alleingelassenen
Vater kollidieren ab sofort Überforderung, Hilfsbereitschaft, Ohnmacht,
Mitleid und von Ausweglosigkeit getriebene Zukunftsangst. In seiner
Verzweiflung nimmt er ein Kopfkissen, stülpt es über seine ohnehin nur
mehr nach Atem ringende Lieblingsfrau, hält darauf, bis ihr mit
Sicherheit jede Form von Unruhe abhanden gekommen war. Welche Leser*in
maßt sich jetzt an, den bemitleidenswerten, inzwischen noch vereinsamter
gewordenen Mann wegen aktiver Sterbehilfe oder sogar wegen Mordes an
den Pranger binden zu wollen, um ihn dem abscheulichen Gekläff der
scheinheilig Empörten auszuliefern? Es handelte sich hier mehr um die
Gesamtheit der kollidierenden Umstände, um deren Geltung im Rechtswesen
wohl erst noch gerungen werden muss. Im Film „Das Meer in mir“ von
Alejandro Amenabar wird aktive Sterbehilfe einem hoch
querschnittsgelähmten Unfallopfer von seinen „es mit ihm nur gut
meinenden“ Verwandten und Freunden verwehrt. Auch die Justiz stellt sich
hinter deren Einwände und gegen sein mehrmals flehentlich vorgetragenes
Ansuchen. Der zutiefst Bedauernswerte konnte keinen einzigen seiner
Finger bewegen, ohne nach hinten sichernde Gurte nicht aufrecht sitzen,
und wurde wegen einer Schluckstörung über eine Magensonde ernährt. Im
Falle der Tötung auf Verlangen war eine klare Trennlinie zwischen
assistiertem Suizid und aktiver Sterbehilfe nicht mehr zu ziehen. Vor
den Segnungen der modernen Medizin sind Querschnittsverletzte wenige
Wochen nach dem Unfall an Nierenversagen durch Harnstau infolge
Blasenlähmung verstorben. „Medicus sanat, natura curat“ (der Arzt
behandelt, die Natur heilt)!?
Siehe auch:
Medizin in Not, Teil I
9) Assistierter Suizid vs. palliative Sedierung