„Aus der Schwärze der Knechtschaft durch blutige Schlachten ans goldene Licht der Freiheit.“ Das ist ein Spruch aus den Befreiungskriegen gegen die napoleonische Herrschaft, aus dem sich die deutschen Flaggenfarben Schwarz-Rot-Gold herleiten. Seitdem hat man viel Schindluder mit dem revolutionären Tuch getrieben. Doris Stickler berichtet von einem Gespräch in der Evangelischen Akademie Frankfurt.
Mit Unwissenheit und Skepsis hatte Enrico Brissa gerechnet, nicht aber mit geballten Aggressionen. Weil die Nationalflagge seit 2014 von rechten Fanatikern zunehmend missbraucht und umgedeutet worden war, gingen der Jurist und gleichgesinnte Freunden mit einer Deutschlandfahne zur bundesweiten #unteilbar-Demonstration. Sie wollten auf diese Weise bekunden: „Das Staatssymbol gehört nicht Pegida, wir dürfen es nicht den Feinden des Grundgesetzes überlassen“.
Die Demonstration gegen Ausgrenzung habe sich für die Gruppe als „Spießrutenlauf“ entpuppt, der „mit einem Rauswurf geendet“ habe, erinnert sich Enrico Brissa. „Dabei wurden alle möglichen Länderflaggen mitgeführt, nur Schwarz-Rot-Gold durfte nicht sein.“ Viele Demonstranten hätten die deutsche Flagge mit Nationalsozialismus gleichgesetzt und mit Hass und zum Teil handfesten Übergriffen auf deren Präsenz reagiert.
Die drei Jahre zurückliegende Erfahrung sei ein „Schlüsselerlebnis“ gewesen, das ihm den Anstoß zu dem Buch „Flagge zeigen! Warum wir gerade jetzt Schwarz-Rot-Gold brauchen“ gegeben habe. Auf Einladung der Evangelischen Akademie Frankfurt und der EKHN Stiftung klärte Enrico Brissa im Rahmen der Sachbuchreihe „WortStark“ unlängst über seine Haltung zur Deutschlandfahne auf.
Wenn der frühere Protokollchef zweier Bundespräsidenten und des
Deutschen Bundestags auf die bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts
reichende Geschichte der Fahne blickt ist für ihn klar:
„Schwarz-Rot-Gold steht für unsere freiheitliche Verfassung, die Flagge
ist ein Symbol für Demokratie.“ Mit dem Buch wolle er „dazu beitragen,
Schwarz-Rot-Gold als gelebte Verfassungskultur zu stärken, die das
Fundament unserer offenen Gesellschaft ist“.
Durch die „nationalsozialistische Kontaminierung“ macht Enrico Brissa
bei den meisten Bundesbürgen ein eher zwiespältiges Verhältnis zur
Nationalflagge aus. Das gelte auch für die Nationalhymne und den Adler.
Umso mehr überraschte ihn der „völlig unverkrampfte Umgang bei der
Fußball-Weltmeisterschaft 2006“. „Die Deutschlandfahne wurde als Symbol
für Einigkeit, Recht und Freiheit gesehen. Bei den beiden folgenden
Weltmeisterschaften wurde Schwarz-Rot-Gold sogar noch stärker
gezeigt.“
Die Pegida-Aufmärsche hätten dann „zur völligen Umdeutung geführt und das Verhältnis umgekippt“, bedauert der 50-Jährige, der inzwischen „weltweit einen Kampf um nationale Symbole“ verzeichnet. „Man denke nur an den Sturm auf das Capitol.“ Diese Entwicklung schreibt er nicht zuletzt den „gewachsenen Möglichkeiten der Inszenierung“ wie etwa in den sozialen Medien zu.
Bei dem von Friederike von Bünau von der EKHN-Stiftung moderierten Gespräch hob er seinen Wunsch nach größerem Augenmerk bezüglich der Staatssymbole hervor. „Wir müssen Vorbehalte abbauen und die Flagge zurückbringen, wo sie hingehört“, steht für Enrico Brissa fest. Das gelinge vor allen durch die Vermittlung von Geschichte. Zu seinem Leidwesen kommen in schulischen Lehrplänen und in Ausbildungszusammenhängen Staatssymbole jedoch kaum zur Sprache.
Als Johann Hinrich Claussen das Ende Januar erschienene Werk in
die Hände bekam fragte auch er sich zuerst: „Was soll das, ein Buch
über die deutsche Fahne zu schreiben?“. Seit der Lektüre kann der
Kulturbeauftragte des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland den
Vorstoß nur begrüßen. „Flagge zeigen! ist ein Augenöffner und ein tolles
Bildungserlebnis.“
Als zweiter Gesprächspartner bei der Veranstaltung in der Evangelischen
Akademie Frankfurt zu Gast, ging er auf die „theologischen
Assoziationen“ ein, die das Lesen bei ihm weckten. Unter anderem seien
ihm die Auseinandersetzungen um das Kreuz in den Sinn gekommen, bei
denen „ähnliche Bildungsprobleme“ zutage treten. „Je weniger Menschen
mit dem Christentum zu tun haben, umso erregter führen sie Debatten über
das Kreuz“, weiß Johann Hinrich Claussen.
„Eigentlich sollte man auch über das Kreuz ein solches Buch schreiben“,
findet er. Zumal Symbolen eine Ambivalenz inne wohne und ihre Bedeutung
schwanke. „Die Botschaft eines Symbols kann sich derart ändern, dass es
sich bis ins Gegenteil verkehrt.“ So sei „das Grundgesetz nicht von
Anfang an als etwas großartiges wahrgenommen worden“. Bis es
wertgeschätzt wurde, habe es ziemlich lange gedauert.
Während die Wertschätzung der schwarz-rot-goldenen Flagge gesunken ist – auch die Fußballnationalmannschaft habe die Farben weitgehend rausgestrichen – genießen Johann Hinrich Claussens Beobachtung nach Banner wie die Regenbogenfahne steigende Popularität. „Das zeigt, dass die Flagge als altes Symbolwesen auch Gegenwart hat. Flaggen sind kein archaisches Relikt.“
Ein Symbol, seine Bedeutung und sein Missbrauch