Seit Dezember 1980 bis heute hat der Fotograf Jürgen Wiesner immer wieder eine bestimmte Stelle in der Nachbarschaft seines Wohnorts in Frankfurt-Höchst mit der Kamera erkundet – einen Tümpel in einem Brachland innerhalb der Gemarkung Zweifelsgewann. In der letzten Viertelstunde der vergehenden Helligkeit – im „Spätlicht“ – eines jeweiligen Tages gewinnt Wiesner der Oberfläche dieser unscheinbaren Wasserstelle immer neue Sensationen des bildlichen Erscheinens ab: künstlerische Wahrnehmungsprotokolle, die ihresgleichen suchen. Im Kunstverein Familie Montez sind seine Werke nun ausgestellt.
Seit Dezember 1980 bis heute hat Jürgen Wiesner immer wieder eine bestimmte Stelle in der Nachbarschaft seines Wohnorts in Frankfurt-Höchst mit der Kamera erkundet – einen Tümpel in einem Brachland innerhalb der Gemarkung Zweifelsgewann. In der letzten Viertelstunde der vergehenden Helligkeit – im “Spätlicht” – eines jeweiligen Tages gewinnt Wiesner der Oberfläche dieser unscheinbaren Wasserstelle immer neue Sensationen des bildlichen Erscheinens ab: künstlerische Wahrnehmungsprotokolle, die ihresgleichen suchen. In einem Widerstreit von Statik und Dynamik entzündet sich ein der Natur entlocktes, aber dennoch künstliches Leuchtfeuer. Die Farbenlehre dieser Fotografien evoziert vielfältige Korrespondenzen zu völlig unterschiedlichen Stilen der modernen Malerei. Zugleich sind ihre Konfigurationen wahrnehmbar als metaphorische Aufzeichnungen eines visuellen Klangs oder Tanzes, die Wiesners Kamera im Dialog mit dem Nie-sich-gleich-Sein ihres natürlichen Gegenübers festhält.
Dieses Projekt ist von außerordentlicher künstlerischer Qualität. Seine besondere Magie besteht darin, über Jahrzehnte hinweg dieser Wasseroberfläche inmitten der Frankfurter Stadtlandschaft potentiell unendliche Variationen abzugewinnen. Es gibt innerhalb der Kunstfotografie weltweit keine vergleichbare, über eine so lange Zeit einem einzigen Motiv in ihren spektakulären Verwandlungen gewidmete Serie von Bildern, weswegen Wiesners Arbeiten hierzulande und auch international eine beachtliche Resonanz gefunden haben. Zugleich leistet Wiesners Projekt eine beharrliche Vergegenwärtigung der ebenso erstaunlichen wie nicht zu bändigenden Gestaltenfülle der den Menschen umgebenden Natur. In seinem zugleich improvisatorischen und eingedenkenden Gestus stellt Wiesners fotografisches Verfahren auch für meine eigene wissenschaftliche Beschäftigung mit der Theorie des fotografischen Bildes und einer ökologischen Ethik eine erhebliche Inspirationsquelle dar.
Wiesners Œuvre ist jedoch nicht darauf beschränkt, aus diesem
einen, für sein Schaffen zentralen Motiv immer neue Funken zu schlagen.
In früheren Arbeiten hat er untergehende Arbeitswelten im Frankfurter
Raum mit bestechender Klarheit als Szenen einer damals noch
gegenwärtigen Vergangenheit konserviert. In seinen aktuellen
Ausstellungsprojekten kombiniert er Reihen von älteren und neuen
Exemplaren seiner fotografischen Wassermalerei mit einer fotografischen
Erkundung der Umgebung ihres Schauplatzes und der Transformationen,
denen er über die Jahre hinweg ausgesetzt war. So entsteht eine
fotografische Archäologie der vergangenen und andauernden Gegenwart
dieser Landschaft, die auch Elemente der Bilderzählung enthält. Daraus
ergibt sich eine Zeitreise in dieses Areal, die das Widerspiel von
Veränderung und Dauer im Eigenleben der Natur sowie in den Eingriffen
des Menschen dokumentiert. Zu den Motiven seiner neuesten Bilder zählen
neben der Wasserfläche intensive Impressionen der Vegetation und der
Wegzeichen vor Ort, die Geschichte der Verwandlung eines Baums in eine
Skulptur und anderes mehr. Mehr noch als in seinen vergangenen
Ausstellungen variieren
dabei unterschiedliche Trägermaterialien wie Papier, Stoff, Acryl,
Bildstelen, Monitore und auch Videoprojektionen die Textur der Präsenz
seiner Bilder. Durch die Verbindung mit von befreundeten Künstlern
eigens komponierten Klangwelten gewinnen Wiesners Ausstellungen den
Charakter audiovisueller Installationen, die an ihrem jeweiligen Ort
unvergleichliche Lichtspiele zur Aufführung bringen.
In seiner ebenso spektakulären wie unbeirrbaren Ortsverbundenheit zeichnet sich Jürgen Wiesners fotografisches Schaffen durch eine herausragende Originalität und Weltoffenheit aus.
