MAYBE THE GREATEST ARTSPACE IN AUSTRIA, gegründet im Jahr 2019, befindet sich im Herzen der historischen Altstadt von Hallein in der Nähe von Salzburg. Spezialisiert auf zeitgenössische Kunst und mit einem breit gefächerten Programm mit Werken nationaler und internationaler Künstlerinnen und Künstler, zeigt er bis zu 6 Ausstellungen pro Jahr in einem einzigartigen Raum.
Tina Kohlmann und Andreas
Diefenbach kennen sich schon eine ganze Weile. Was die beiden unter
anderem verbindet, ist die große Liebe zu Gegenkulturen, zu Welten, die
mehr versprechen als schnelle Belohnung und raumhohe Fenster mit
Parkettboden. Sowohl in Andreas Bildern als auch in Tinas Skulpturen und
Objekten spürt man stets eine Sehnsucht nach dem Jenseitigen, nach
Magie, nach einer Welt, die nicht so berechnend und kalt ist wie die
unsere.
“Opt out-drop in” ist der Titel der neuen
Bilderserie, die Andreas für die Ausstellung bei MTGAIA gemalt hat, und genau darum geht es:
Raus hier und rein da. Denn dort ist es anders, offener, mobiler, und
dort wohnen Wesen und Geister, die hier verscheucht wurden.
Es gibt einen außergewöhnlichen Zeichentrickfilm von 1982 mit dem Titel
“Der Flug der Drachen”. Darin sieht man, wie der
Zauberer Carolinus versucht, eine Gruppe ungehobelter Müller mit einem
Zauberspruch zu bestrafen, weil sie mit ihren ungesicherten Mühlrädern
eine Gruppe junger Schwäne in Lebensgefahr gebracht haben. Aber sein
Zauber ist schwach geworden. An die Stelle der Magie ist die Vernunft
getreten. Verspottet und verhöhnt, muss er sich geschlagen geben. Es
bleibt nur noch eines: der Rückzug in ein verborgenes Reich der Magie.
Für immer verborgen vor den Menschen, die einfach nicht mehr an seine
Fähigkeiten glauben.
Es fühlt sich an, als ob es ein Dokumentarfilm hätte sein können. Denn
tatsächlich ist Magie in unserer Welt schon lange nicht mehr alltäglich.
Inzwischen wird alles als “Magie” bezeichnet
– das meiste davon ist Unsinn und Humbug – aber
nicht alles. Zum Glück gibt es auch eine Liebe zur Magie, zum
Verborgenen und Unerklärlichen, die fernab der kommerziellen und
ideologischen Angebote die Zeiten überdauert hat. Diese Magie muss nicht
in teuren Kursen von selbstverliebten Erleuchteten erlernt werden und
sie hat auch nichts mit Verschwörungen oder esoterischer
Selbstoptimierung zu tun. Diese jahrtausendealte Magie durchdringt die
Welt einfach so, man merkt sie, wenn man durch einen Wald spaziert oder
die Sterne betrachtet. All diese klassischen großen Dinge, das Meer, der
Weltraum, die Berge, die Welt an sich, wenn man in ihnen keine magische
Kraft erkennt, schaut man nicht richtig hin. Ohne ein Ohr für das Lied
in allen Dingen, steht der Mensch in trostloser Einsamkeit. Und wird
wahrscheinlich verbittert. Das muss nicht so sein.
Tina und Andreas haben ihre Ohren an der unsichtbaren Wand und lauschen
auf die Dinge dahinter. Beide schaffen Bilder voller Verweise auf die
Geschichte des Transzendenten, konfessionslose Spiritualität und
inklusive Gegenwelten. In Tinas neuer Skulpturengruppe, die ebenfalls
eigens für MTGAIA angefertigt
wurde, stehen drei ihrer seltsamen und phantastischen Wesen in einem
klassischen Dreiklang um ein Gefäß. Drei Gestalten, die zu vielen
monotheistischen Religionen gehören, aber auch zu den drei Hexen von
Macbeth, den griechischen Moiren und unzähligen heidnischen Religionen
der Vorzeit. Zu dritt wird hier etwas gebraut oder zelebriert, denn nur
zu dritt wird es gelingen, und so ist es auch. Aber nicht nur der
vermeintliche Inhalt des zu brauenden Trankes ist von geheimnisvoller
Natur, auch die Figuren, die den Trank brauen – sie erinnern
an rituelle Masken, Götterfiguren oder jenseitige Wesen – sind
aus besonderen Materialien gefertigt. Mit Zähnen aus Kyanit und Zungen
aus Fischleder sind sie schon rein materiell von alchemistischer
Qualität. Diese Wesen entstammen einem Wissen über Mythologie,
Urreligionen und Überlieferungen, das Tina seit vielen Jahren auf
Expeditionen rund um die Welt gesammelt hat. Sie übersetzt sie für uns
in Bilder, die zugleich vertraut und fremd, einfach und kompliziert,
lustig und unheimlich wirken. Denn sie sind zwischen den Dingen und
sprechen eine andere Sprache.
Und so verhält es sich auch mit Andreas’ Bildern. Sein
Malprozess erinnert an eine von Tinas Expeditionen. Zunächst bildet er
am Computer eine visuelle Grundlage, eine collagierte Sammlung von
Bildern und Momenten, die wie die Vorbereitung für eine Reise sind. All
dieses Material wird zum Ausgangshafen und zum offenen Meer, denn alles,
was nun malerisch folgt, basiert auf ihnen. Ich stelle mir das vor wie
das höchst aufmerksame und zugleich entrückte Versinken, das man als
Kind beim Spielen erleben kann. Erwachsene nennen das
“Flow” und es ist ziemlich toll, in so einem
“Flow” zu sein. Man ist gleichzeitig da und nicht
da, lässt sich ganz bewusst auf etwas ein und ist gleichzeitig
hochaktiv. Das ist nicht weit von einer Trance entfernt und wer schon
einmal in einem “Flow” war, weiß, dass man sich
irgendwie in einer “anderen Welt” befindet. Andreas
gerät in einen solchen Flow, wenn er beginnt, über die bedruckte
Oberfläche der Bilder zu malen. So wie Aster Jorn vor langer Zeit alte
Flohmarktbilder als Grundlage für seine Malerei nutzte, schafft Andreas
mit den digitalen Collagen, die unter seinen Bildern schlummern und an
nebligen Lichtungen auftauchen. Eine Welt, die er in der Malerei
instinktiv ausdehnt, diffundiert, zieht, schiebt und in feinen Schichten
überzieht und auflöst. Wie ein magischer Grund und eine fließende
Realität, die sich logischerweise daraus ergibt.
In Hallein vereinen Andreas und Tina ihre Werke zu einer gemeinsamen Ausstellung. Also aufgepasst. Man weiß, dass der Untersberg viele mystische Geschichten zu bieten hat und es wäre kein Wunder, wenn in Hallein in so mancher Nacht seltsame Dinge rund um ein Schaufenster passieren, die niemand beweisen kann.