Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ feierte 1922 im Marmorsaal des Zoologischen Gartens in Berlin Premiere und ist heute längst Teil der Populärkultur geworden – von Horrorfilmen bis hin zur Fernsehserie „Die Simpsons“. „Phantome der Nacht. 100 Jahre Nosferatu“ in der Sammlung Scharf-Gerstenberg widmet sich der Beziehung dieser Ikone des deutschen Stummfilms zur bildenden Kunst.
André Breton galt „Nosferatu“ als ein surrealistisches Schlüsselwerk. Umgekehrt ist der Film nicht ohne kunsthistorische Vorbilder zu denken. In den Entwürfen für die Ausstattung befinden sich Motive, die an die Radierungen Francisco de Goyas erinnern, an die deutsche Romantik oder an die phantastische Kunst und Literatur des frühen 20. Jahrhunderts. Anleihen bei Caspar David Friedrich sind ebenso zu erkennen wie bei Alfred Kubin, Stefan Eggeler oder Franz Sedlacek. Darüber hinaus wirft die Ausstellung einen Blick auf die Auswirkungen „Nosferatus“ im Bereich der zeitgenössischen Kunst und Alltagskultur.

Glückliche
Zeiten sollten es gewesen sein, in denen sich die Menschen vor Vampiren
mehr gefürchtet haben als vor Nebenkostenabrechnungen. Doch erlaubt es
die Kulturgeschichte, uns den Vermieter als Vampir vorzustellen. Denn
zwar nicht in Bram Stokers Roman »Dracula« (1897), aber doch in dessen
berühmtester Verfilmung, Friedrich Wilhelm Murnaus »Nosferatu – Eine
Symphonie des Grauens« (1922), steht am Beginn der zwielichtige
Häusermakler Knock (Alexander Granach).
Knock schickt seinen blauäugigen Assistenten Hutter (Gustav von
Wangenheim) nach Transsylvanien zu Graf Orlok, nämlich Nosferatu (Max
Schreck). Nosferatu, das sei zugegeben, ist nicht im Immobiliengeschäft,
aber weniger schrecklich als er ist Makler Knock nicht, über den
»vielerlei Gerüchte« umgehen. Knock liest des Unholds in okkulten
Symbolen verfassten Brief ebensogut wie seine Bilanzen und frisst am
Ende Fliegen wie ein Teufel in Not.
Für die auf unheimliche Kunst spezialisierte Sammlung Scharf-Gerstenberg
gibt es Gründe genug, sich diesem Film ausführlich zu widmen, leider
nicht nur gute. Im Vorwort zum Katalog ihrer »Nosferatu«-Ausstellung
schreiben Klaus Biesenbach, Direktor der Neuen Nationalgalerie, und
Kyllikki Zacharias, Leiterin der Sammlung, es habe niemand ahnen können,
»wie aktuell dieses Thema durch den Ausbruch der Corona-Pandemie und
den russischen Angriff auf die Ukraine zum Zeitpunkt der
Ausstellungseröffnung sein würde«.
Die erste Hälfte von Biesenbachs und Zacharias’ Satz erschließt sich:
Nosferatu reist mit Särgen voll pestverseuchter Erde an. Von ihr,
vielmehr von den Ratten, die aus den Särgen springen, angesteckt, stirbt
erst eine Schiffsbesatzung, und die Pest (sprich Corona) bricht dann in
dem beschaulichen Städtchen Wisborg (also unserer Bundesrepublik) aus.
Aber was der Ukraine-Krieg mit Nosferatu zu tun hat, müssen wir uns
hinzudenken. Siegfried Kracauer nennt in seinem Buch »Von Caligari zu
Hitler« (1947) Nosferatu eine »blutrünstige, aussaugerische
Tyrannenfigur«, der die Deutschen in »Hassliebe« verbunden seien. Kurz,
Nosferatu soll Hitler sein, folglich ist er nun Putin; laut der
aktuellen Propaganda nimmt uns der Moskauer Fürst der Finsternis Gas
statt Blut.
Gesetzt, Corona und Putin wären die Blutsauger von heute, wer wäre dann
ihr Prof. Van Helsing? Biesenbach und Zacharias verraten, die Pandemie
habe ihnen »die einmalige Chance« geboten, »Christian Drosten, dem
unermüdlichen Verfechter der medizinischen Aufklärung, zu folgen. Vor
100 Jahren hätte er auch Nosferatu in die Knie gezwungen. Ihm sei dieser
Katalog gewidmet.«
Wären die Ausstellung oder auch nur der Rest des Prof.
Van-Helsing-Drosten gewidmeten Katalogs vom Geist dieses Vorworts, das
sich zwischen Albernheit und Demagogie nicht recht entscheiden kann, es
müsste zum Schutz der Intelligenz ein Cordon sanitaire ums Museum
gezogen werden. Das ist zwar nicht der Fall, aber mit dem Vorwort endet
die Peinlichkeit noch nicht. Denn ein satanischer Makler, der eine
pseudo-kabbalistische Schrift liest, ein Untoter mit Hakennase und
Fledermauszähnen, der nach dem Blut eines unschuldigen Mädchens giert,
ausschwärmende Ratten … – in einem Land, in dem es mehr
Antisemitismus-Sachverständige als Juden gibt, muss nicht erläutert
werden, wie man all das deuten könnte. Ausstellung und Katalog ersparen
sich das Thema, und das mag nach der Schlammschlacht um die Documenta
ganz erfrischend sein, aber seltsam ist es doch.
Seltsamer wird die Sache noch dadurch, dass Jürgen Müller, der mit Frank
Schmidt und Zacharias die Schau kuratiert hat, sich schon vor gut 20
Jahren über den Antisemitismus von »Nosferatu« ausließ. Doch nun,
schreibt er, wolle er die »bereits gewonnenen Erkenntnisse« nicht
wiederholen, sondern lieber der »Bildpoetik besondere Aufmerksamkeit«
schenken. Propagandistische Parallelen zu Corona und zum Ukraine-Krieg
sind erlaubt, ansonsten soll alles Üble in den trüben Teich der
Bildpoetik versenkt werden. Tauchen wir in ihn ein.
Murnau hatte ein Talent, auch für dünne Geschichten (»Sunrise«, 1927)
starke Bilder zu finden. Bei »Nosferatu« verdankte er viel seinem Art
Director Albin Grau, der sich wiederum an Alfred Kubins morbiden
Zeichnungen orientierte. Kubin, Max Klinger, Edvard Munch, Odilon Redon
gehören zum festen Bestand der Sammlung Scharf-Gerstenberg, einer der
besten der Stadt. Dank der Albtraumvisionen dieser Künstler verstärkt
die Ausstellung den Effekt von Murnaus Schauermärchen, aber sie setzt
der Erzählung auch etwas entgegen, etwa mit den Bildern von James Ensor,
auf denen, wie Walter Benjamin schrieb, »ein Spuk die Straßen großer
Städte erfüllt: karnevalistisch vermummte Spießbürger«; statt der Gefahr
von außen meint Ensor die von innen. Obwohl ein Gemälde von Franz
Sedlacek deutlich ins Surrealistische ausgreift, finden die Kuratoren
für ihre Behauptung, »Nosferatu« sei der Film der Surrealisten eher
literarische als bildliche Belege. Zeitgenössische Positionen bleiben
unterbelichtet; Tracey Moffatt immerhin kann sich gegen die Meister des
Fin-de-siècle behaupten.
Sehr gut gliedert die Ausstellung den Film in einzelne Motive –
»Unheimliche Reise«, »Das Tor«, »Morgen-Grauen« … –, jede im Halbdunkel
gehaltene Abteilung ist mit einem Fransenvorhang abgetrennt, auf den ein
Film-Bild projiziert wird. Die Besucherinnen und Besucher gehen also
durch die Bilder hindurch. Und am Ende ist es weniger der Horror, der an
einem nagt und leckt als der Ekel. Für die Mär vom bösen Fremden stehen
eher Nosferatus polypenartige Finger und allerhand schleimiges und
bizarres Getier ein als der bucklige Vampir selbst, von dem wir eh
wissen, dass er verschwindet, sobald die Sonne auf- oder die
Kinosaalbeleuchtung angeht.
Text: Stefan Ripplinger