Die Referentin Julia Ketterer (Literaturhaus Frankfurt) führt durch die Veranstaltung und stellt den Roman der französischen Schriftstellerin Maylis de Kerangal vor.
Nach einem Autounfall diagnostizieren die Ärzte den klinischen Tod eines jungen Manns. Zugleich stellen fest, dass er sich zum Organspender eignet. Wie verhalten sich Ärzte und die Familien in solchen Situationen auf Leben und Tod? Wie verkraften Menschen überhaupt solche unerwartbaren, unausweichlichen Chancen und das gleichzeitige Ende aller Chancen? Maylis de Kerangal präsentiert die Abfolge dieser 24 Stunden in einer rasanten Folge von emotional aufrührenden Szenen und deskriptivem Reportagestil. Und so stellt sich beim Leser Betroffenheit ein. Die sieben renommierten Auszeichnungen, die dieser Roman in Frankreich erhalten hat, sind ein Beleg für solche Wirkung.
Rezensionsnotiz,
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Niklas Bender ist der Autorin dankbar für einen breiten Blick auf die
Wirklichkeit der Transplantationsmedizin. Dass Maylis de Kerangal so ein
Thema in einem Roman anpackt, scheint ihm couragiert. Zumal die Autorin
offenbar über die literarischen Mittel und Möglichkeiten verfügt,
daraus einen spannenden wie anrührenden Text zu machen. Von Kerangals
Feingefühl und erzählerischem Schwung, ihrem Sinn für
Figurenpsychologie, die Dynamik eines Krankenhauses und seines Personals
sowie allgemein für menschliche Wechselwirkungen ist Bender jedenfalls
überzeugt. Auch wenn der Roman es mitunter allzu gut meint mit seinen
Figuren, wie er feststellt, und alle als äußerst kompetent darstellt.
Das geht manchmal in Richtung Arztroman, meint Bender, auch
sprachlich.
Rezensionsnotiz, Neue Zürcher
Zeitung
Derart gelungen sei dieses Buch, schreibt Georg Renöckl, dass man es nur
bedingt empfehlen könne. Der Roman über den Hirntod eines
Neunzehnjährigen als Folge eines schweren Autounfalls sei so mitreißend,
dass er Spuren beim Leser hinterlasse. Nur schwer ist das tragische
Geschehen auch für den Rezensenten auszuhalten, zugleich zeigt er sich
fasziniert vom dichten Text. Renöckl lobt die häufigen
Perspektivwechsel, betrachtet sie aber auch als zwangsläufig, um das
Geschilderte überhaupt ertragen zu können. “Langgestreckte
Sätze von konzentrierter Schönheit” schreibe de Kerangal, der
Kritiker findet sie meisterhaft. Empathie, Intensität und Ironie
attestiert er der Autorin und ihrem Werk, wobei die deutsche Übersetzung
an Letzterem einiges einbüße. Die Dramaturgie de Kerangals macht den
Roman in den Augen des Rezensenten zu einer ähnlich präzisen
Angelegenheit wie eine Herztransplantation und zur “Hymne an
die körperliche Lust am Leben in all ihren
Schattierungen”.
Rezensionsnotiz, Die Welt
Peter Praschl schwingt sich in seiner Besprechung von Maylis de
Kerangals Roman über die Grenze zwischen Leben und Tod zu Lobeshymnen
auf, für ihn ist das Werk zugleich “virtuos grausam und
virtuos schön, kontrolliertes Trance-Schreiben”, kurzum:
“gloriose Literatur”. Der Rezensent gibt zu, von der
Eindringlichkeit der Lektüre und des Erzählten zeitweilig überfordert
gewesen zu sein, geht es doch um einen 19-Jährigen, der nach einem
Unfall hirntot auf der Intensivstation liegt. Kein Detail lasse der Text
liegen, bemerkt Praschl, er beleuchte die Gedanken- und Lebenswelt der
Eltern angesichts der Entscheidung, die lebenserhaltenden Maschinen des
Sohnes auszuschalten, genauso wie die der Krankenschwester und des
diensthabenden Arztes. So komme das Buch viel näher an das Geschehen
heran, als es Journalismus oder Film je vermocht hätten, meint der
Rezensent, der sich mitunter in pathetischen Formulierungen verliert
– etwa wenn er von einer Prosa schreibt, “in der die
Wörter wie Blutkörperchen Gischtkronen auf Wellen
treiben”.