Oliver Augst und Reto Friedmann – eine Person, zwei Persönlichkeiten – gehen für sieben Jahre auf Wanderpredigt. Sie reisen durch sieben Städte von Frankfurt bis Luzern und treffen dort auf Faulheit, Stolz, Zorn, Völlerei, Lust, Gier und Neid. Tanzend, singend und streitend treten sie in den Fußgängerzonen auf und halten den bissigen Kommentaren ihrer Mitmenschen stand. An drei Tagen sind sie in der Frankfurter Innenstadt unterwegs.
Die 7 Todsünden – Faulheit, Stolz, Zorn, Völlerei, Unzucht, Habgier, Neid – sind heute längst Teil des kapitalistischen Systems geworden. Lebten wir alle wie Heilige, würde das Wirtschaftssystem zusammenbrechen. Moralinsaure Werte einer vielfältig unglaubwürdig gewordenen Kirche werden zur Antithese des kapitalistischen Systems und bilden den Ausgangspunkt von Komposition und Text des Projekts.
Als Brecht/Weill 1933 ihre 7 Todsünden uraufführten, verfügte
der kirchliche Lasterkatalog noch über eine gewisse erzieherische
Wirkkraft. Für ihre Sprach- und Musikperformance übernehmen Augst und
Friedmann deren Grundidee. In Einkaufspassagen von Innenstädten
verkaufen sie sich als Künstler.
Sie tragen Anzüge, die in Bangladesch unter prekären Arbeitsbedingungen
hergestellt wurden und Augst spielt auf einer elektronischen Orgel,
deren Komponenten aus Vietnam stammen. Augst und Friedmann erweisen sich
als miese Charaktere, indem sie das tun, was der Norm
entspricht.
Inhaltlich überrascht und irritiert das Projekt durch die unerwartete Verknüpfung des sozialistischen Ansatzes von Brecht / Weill mit dem negativen Wertekanon der katholischen Kirche. Diese Grundanlage war schon 1933 angelegt und soll nun hinterfragt und in der Aktualisierung erkennbar gemacht und freigelegt werden. Ästhetisch oszilliert die Produktion zwischen dem billigen Strassenverkauf von Strassenmusikern und Sektenpredigern. Ziel ist es zufällige Passant:innen wie ein kunst-/musikinteressiertes Publikum von Augst und Friedmann anzusprechen, diese mitzunehmen und mit der Thematik zu konfrontieren und anzuregen, selbst über den Wert und Sinn der sieben Todsünden im Hier und Heute zu reflektieren. Vielleicht können wir bewirken, dass einiges der einst angelegten erzieherischen Wirkkraft zu neuen Inhalten erweckt unserer Gesellschaft wieder zugute kommen mag.
Friedmann schreibt Texte, Augst komponiert Gesänge in Begleitung eines billigen Kaufhauskeyboards in Anlehnung an die “Arte Povera”. Auf Kisten stehend werden die beiden Autoren in Form von seltsamen “Wanderpredigern” auftreten.
Es geht um die Spiegelung der Thematik im Horizont unserer Zeit, dem Anthropozän, auf den die Kunst den Blick in eigenwüchsig-unorthodoxen Überschreibung auszurichten sucht; immer vor dem Hintergrund der Aussage des amerikanischen Philosophen Timothy Morton, es werde eine Zeit kommen, in der man sich bei jedem Werk die Frage stellen müsse, was es über die Umwelt aussagt. Und wir befinden uns mitten in dieser Zeit.