Bausch verwandelte Glucks Geschichte in eine "getanzte Oper" - mit eindringlichen Bildern, die vom unausweichlichen Schicksal des Menschen, von Liebe und Tod, handeln.
Das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch kehrt zurück auf die große Bühne. Neben Neukreationen und Wiederaufnahmen häufig gespielter Stücke (beispielsweise „Sweet Mambo“ und „Palermo Palermo“) und der nachgeholten Premiere von „Das Stück mit dem Schiff“ setzt Intendantin Wagner-Bergelt den Schwerpunkt auf die Fortsetzung des in der vorigen Spielzeit gestarteten Zyklus’ mit Stücken aus den 70er Jahren, während derer Pina Bausch ihre eigene Sprache gefunden habe: Zu sehen sein wird u.a. die Neueinstudierung der Tanzoper „Orpheus und Eurydike“ mit der Musik von Christoph W. Gluck. Die war in Wuppertal zuletzt 2003 zu sehen – und konnte jetzt aus Paris „zurückerobert“ werden, wo sie viele Jahre fest zum Repertoire der dortigen Oper gehörte.
Die Tanzoper “Orpheus und Eurydike” von
Pina Bausch wurde 1975 in Wuppertal uraufgeführt und 2004/2005 mit den
Tänzer*innen der Opéra Garnier in Paris neu einstudiert. Bausch
verwandelte Glucks Geschichte in eine “getanzte
Oper” – mit eindringlichen Bildern, die vom
unausweichlichen Schicksal des Menschen, von Liebe und Tod, handeln und
stimmte – ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit – sogar einer
Live Aufzeichnung zu.
Orpheus, der griechischen Mythologie nach ein hervorragender Sänger und
Dichter, steigt nach dem Tod seiner Ehefrau Eurydike in die Unterwelt
hinab und versucht sie zu befreien. Von seinem Gesang beeindruckt,
stimmen Gott Hades und Persephone zu, ihm seine Geliebte wiederzugeben.
Allerdings mit der Einschränkung, er dürfe sich auf dem Weg zur Oberwelt
nicht zu ihr umdrehen. Das misslingt: aus Sorge schaut er zurück und
Eurydike sinkt daraufhin wieder in die Unterwelt hinab. Bestürzt über
den Verlust der geliebten Frau, entschließt er sich, von Frauen Abstand
zu halten und sich der Knabenliebe zuzuwenden.
Dieser Mythos eines Liebenden, der dem Tod trotzt und mittels seines
himmlischen Gesangs die verstorbene Geliebte aus dem Totenreich befreien
will. eignet sich ideal für eine musikalische Umsetzung– so geschehen
unter anderem 1762 durch Christoph Willibald Gluck, der das sofort
erkannte und daraus eine Oper machte
Pina Bausch fügt der Musik und dem Gesang noch den Tanz hinzu und
schafft damit ein Gesamtkunstwerk.
Das Ballett besteht aus vier Bildern, die die Titel TRAUER, GEWALT, FRIEDEN und STERBEN tragen. Während zweieinhalb Stunden
wird hierbei die Leidensgeschichte des Orpheus erzählt, die entgegen
der Gluck‘schen Oper, aber dem griechischen Mythos entsprechend, mit dem
Tod der beiden Liebenden endet.
Die drei getanzten Hauptrollen Orpheus, Eurydike und Amor werden dabei stets von einem singenden Double begleitet.
Im ersten Tableau TRAUER
wird die Reaktion des Orpheus auf den frühzeitigen Tod seiner Gattin
dargestellt. Im zweiten Tableau GEWALT präsentiert Pina Bausch eine ganz in
Weiß gehaltene Unterwelt. Das dritte Bild FRIEDEN wird getragen von der wahrhaft
himmlischen Musik Glucks. Schnell allerdings verfliegt die Freude
Eurydikes über das Wiedersehen mit Orpheus. Sie sorgt sich, weil Orpheus
sie nicht ansieht. Zweifelt schließlich an seiner Liebe und wünscht
sich ins Totenreich zurück. Das vierte Bild STERBEN ist ein einziges Leidenstableau, in
der die Sorge Eurydikes und das Schweigegebot des Orpheus
aufeinanderprallen und schließlich zum Tod der beiden führt.
Als Pina Bausch die Tanzoper 1975 zum ersten Mal aufführte, war die
Gluck-Oper schon über zweihundert Jahre alt. Pina Bausch brach mit der
klassischen Inszenierung einer Tanzoper und füllte sie mit neuem Leben.
Ihr Satz “Mich interessiert nicht, wie sich Menschen bewegen,
sondern was sie bewegt” wurde fast zum Slogan, mindestens aber
zum Credo vieler Tanzschaffender auf der Welt.
Bei Pina Bausch sind es nicht wie in der Oper von Gluck drei Akte, sondern die vier Gefühlszustände TRAUER, GEWALT, FRIEDEN und STERBEN, die die Inszenierung strukturieren. Mitte der siebziger Jahre galt “Orpheus und Eurydike” als die Tanzoper schlechthin. Kurz darauf brach Pina mit diesen Traditionen und verschreckte anfangs das Ballettpublikum mit modernen Inszenierungen.
Dass sie schon 1975, als sie ihre Version einer Tanzoper zu Glucks „Orpheus und Eurydike“ schuf, eine Meisterin der Ausdrucks-Geste war und ein Gespür für Räume und Strukturen hatte, ist nun wieder live auf einer Bühne zu erleben.
Am Ende der Tanzoper erobern sich wieder die schwarz Verhüllten die Bühne, denn auf die Trauer des Anfangs folgt am Schluss das Sterben, auch wenn sich zwischendurch lichtes Weiß gezeigt hat. Rolf Borziks schlichte Bühne von 1975 ist ebenso zeitlos geblieben wie Pina Bauschs zweite tänzerisch-choreografische Umsetzung einer Gluck-Oper.