„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“, heißt es in Brechts „Arturo Ui“, und solange dessen Aufstieg noch aufhaltsam ist, sind solche Werke wie Maria Lazars Roman „Die Eingeborenen von Maria Blut“, jetzt dramatisiert von Lucia Bihler und Alexander Kerlin, vonnöten. Marius Hulpe hat sich die Inszenierung angesehen.
Es kommt nicht oft vor, ein Theaterstück allein inhaltlich restlos überzeugt zu verlassen, weil nicht nur alles, was dort zu sehen war, fast idealtypisch die Aktualität eines fast hundert Jahre alten Textes herausgekehrt hat, sondern gerade auch die plüschige, gebenedeite, von tiefer Verlogenheit durchzogene Stimmung der Inszenierung etwas ist, das den gefühlsmäßigen Nagel auf den Kopf trifft. Im Januar gibt es wieder die Gelegenheit, das Ganze in Wien zu sehen.
“Die Eingeborenen von Maria Blut”, der Roman der lange vergessenen Autorin Maria Lazar, manchen vielleicht eher bekannt unter dem Namen Esther Grenen, enthält alles, was es braucht, um auch dem Dünkel und der Selbstgerechtigkeit und der Ignoranz unserer Gegenwart gerecht zu werden, in der ganz offenbar so einige Uhren der Aufklärung zurückgestellt werden sollen, wenn es nach gewissen gesellschaftlichen Kräften geht, während diese Kräfte ein solches Zurückdrehen der Uhren als gesunden Menschenverstand verkaufen, obwohl ihre Motive sichtlich unterkomplex sind, eindimensional, und ja, auch faschistoid.
Die faschistische Druckwelle bekam zu Lebzeiten auch Lazar zu spüren, die sich das Pseudonym Esther Grenen zulegte, um im aufkommenden antisemitischen Klima der 30er Jahre wieder ansatzweise publizieren zu können: die zum Katholizismus konvertierte österreichische Jüdin, die 1948 schließlich in weitgehender Isolation Selbstmord beging, nachdem sie im schwedischen Exil zwar der Verfolgung durch die Nazis entgehen konnte und irgendwie durchhielt, so lange es ihr nur möglich war, hatte zwar Kontakte zu Brecht, der sie in der Moskauer Zeitschrift Das Wort abdruckte, sie aber fallen ließ, sobald ihm ihr freies Denken nicht mehr in den Kram passte. Immerhin Helene Weigel wandte sich nicht von ihr ab.

Besonders an der Bühnenfassung von Lucia Bihler und Alexander Kerlin am Wiener Akademietheater ist neben gelungenen, wirksamen Verfremdungseffekten, wie den gespenstischen, kindlichen Einheitsmasken der Figuren, nun vor allem, wie historischer Faschismus und unsere Gegenwart ästhetisch zusammengedacht werden. Charakterisiert werden die Figuren letztlich nur anhand ihrer herausragend eingesetzten Stimmen, ihrer fein abgestimmten Bewegungen und Gesten und ihrer mal schlanken, mal strammeren Fesseln. Ein Ensemble, das wie ein Organismus wirkt und damit brilliert.
Im Zentrum des Bühnenbilds steht neben einer altarartigen
Konstruktion samt roter Madonna immer wieder eine Spieluhr, die ihr
liebliches, und vor allem verführerisches Lied spielt. Im fiktiven Dorf
Maria Blut, das “österreichische Lourdes”, kommen
Frömmigkeitswahn und Abstiegsangst zusammen, nachdem der Unternehmer
Schellbach die Investitionen vieler Dorfbewohner verzockt und sich
anschließend per Kopfschuss aus dem Staub gemacht hat.
Fortan kehrt sich das bösartig-vertratschte Klima zuoberst, das
unterschwellig auch zuvor schon wirksam war. Soziale Spannungen
verlangen nach eindeutigen Antworten. Da genügt es schon, dass es einer
“immer mit dem Politischen hat”, um sich verdächtig
zu machen. Um selbst dann, wenn er sich doch verführen lässt und die
liebliche, deutschtümelnde Spieluhr seinem rechten Arm ganz allmählich
die Schwerkraft nimmt, von seiner arischen Verführerin gerichtet wird,
weil er eben doch schwach und steuerbar und damit ein
“Untermensch” ist. Bedrückend wahr allein dieser
Aspekt der hellsichtigen Inszenierung. Die Todessehnsucht faschistischer
Ideologie bezieht sich nicht nur auf ihre Opfer, sondern auch auf
jegliche Schwäche in den eigenen Reihen. Umgehende Auslöschung ist hier
immer der naheliegendste nächste Schritt.
Heraus kommt eine christbraune, austrofaschistische Pampe, wie sie im Buche steht, nicht nur im Buch von Lazar. Doch wird schon bald deutlich: Österreich konnte sich historisch betrachtet noch so sehr Mühe geben, den christbraunen Schlagrahm anzurühren, sich dem Führer gefügig zu ergeben und zweifelnde Kräfte aller Art zu eliminieren – großindustriell abgeschöpft wurde und wird dieser Rahm letztlich doch immer wieder nur von Deutschland: jenem Deutschland, dessen kalte politische Mechanik sich nicht nur von Hitler selbst zunutze gemacht wurde, sondern das zugleich alle österreichischen Bestrebungen, zu bräuneln, wie naive Versuche aussehen lässt, dem großen Nachbarn zuliebe noch bösartiger und menschenverachtender zu werden. Aber es sind nicht nur die große Stumpfheit und Kleingeistigkeit des Austrofaschismus, die hier sichtbar werden, sondern vielmehr wird seine Rolle insgesamt erkennbar: als tragische Fortsetzungsgeschichte von Mini-Nazis und Rattenfängern à la Haider & Co., letztlich nicht zu viel mehr fähig, als sich vor lauter Größenwahn final gegen eine Gartenlaube zu fahren.