Das 19. Jahrhundert hatte da keine Probleme, und noch in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts konnte Alfred Kerr den einst umlaufenden Vers zitieren: „Nichts an Dir war scheel und niedrig / teurer Schiller, edler Friedrich.“ und er, Kerr, nennt ihn, Schiller, tatsächlich einen „herrlichen Freiheitsschwaben“. Und Deutschland jubelte. Davon sind wir heute wahrlich weit weg. Auch von Schiller? Die meisten Wiederbelebungsversuche sind oft kläglich gescheitert. Nicht so: jetzt, in Frankfurt, bei und dank Felicitas Brucker. Und Martin Lüdke hat das Stück gesehen.
Am Ende wird kräftig aufgeräumt. Erst mal personell:
Marquis von Posa, tot, erstochen. Don Carlos, tot, vom Vater erschossen.
König Philipp II, tot, von seiner eigenen Frau erschossen. Und
natürlich Herzog von Alba, tot, auch erschossen, von der Prinzessin
Eboli. Damit sind 66% des aufgebotenen Personals eines gewaltsamen Todes
gestorben. Die wunderbar weiße Bühne von Viva Schudt trieft von Blut.
Aber: es herrschen klare Verhältnisse. Zwei Frauen sind übrig, mehr
nicht (doch keine Spur von feministischem Furor).
Aufgeräumt wurde auch bei der Textbearbeitung, die sich wesentlich auf
eine Schiller’sche Bearbeitung (sogenannte Rigaer Fassung) stützt.
Brucker und Arved Schultze haben von ursprünglich über zwanzig
namentlich aufgeführten Personen gerade noch sechs (zuzüglich der stumm
gebliebenen Infantin) übrig gelassen. Sie haben damit auch die
politische Dimension in einen eher privaten Raum zurückgeführt. Der
sprichwörtlich berühmt gewordene Ausruf des Marquis Posa:
„Geben Sie Gedankenfreit“, dem auch noch das
„Sire“, damit der Adressat, fehlt, wird eher nebenher genuschelt.
Und trotzdem scheint mir die, nennen wir sie Frankfurter Fassung,
konsequent gedacht, bis auf die eher überflüssigen Rap- und sonstigen
Musik-Einlagen.
Das Personal steht, bei Beginn, wie auch später oft, an den
Bühnenwänden, auf den Auftritt wartend, bei dem es dann in die Mitte
tritt. Und das Ränkespiel beginnt. Weil fast jeder gegen jeden kämpft
(wenn auch, wie Carlos und Posa, am Ende nur scheinbar).
Carlos (Thorsten Flassig) hat es da besonders schwer. In Trainingshose
und Turnhemdchen wirkt er als Thronfolger so deplatziert wie als
Liebhaber seiner Mutter, die einst seine Braut war, aber aus Staatsräson
seinen Vater heiraten musste, um das Verhältnis Frankreichs zu den
Habsburgern zu konsolidieren und den Frieden in Europa zu garantieren.
Für alle drei ist es schwer, sich mit diesen Gegebenheiten zu
arrangieren. Karlos leidet, weil er seine Braut abtreten musste und
durch seinen misstrauischen Vater von aller Macht ferngehalten wird.
Elisabeth leidet, weil sie einen Mann heiraten musste, den sie nicht
liebt. Und Philipp II. leidet, weil er die Frau liebt, die ihn nicht
liebt, und einen Sohn hat, dem er nicht traut und dem er auch nichts
zutraut. Von dieser Konstellation profitiert der Herzog von Alba, der
(lange Zeit) das Vertrauen seines Königs genießten konnte und auch
ausersehen war, in Flandern aufzuräumen.
In diese Konstellation tritt nun aber auch noch der Marquis von Posa
ein, der, eben aus Flandern zurückgekehrt, die eher persönlichen
Spannungen wieder ins Politische zurückführt. Er will den Flamen in
ihrem Freiheitskampf helfen, mit Don Carlos, gegen Philipp II.
Er gewinnt aber die Achtung des Königs, weil er es wagt, ihm offen seine
Meinung zu sagen, und weil der König spürt, das ihm (erstmals) ein
Mensch, keine Hofschranze, gegenübersteht, der nicht auf seinen Vorteil
bedacht, sondern sich Aufrichtigkeit und Wahrheit verpflichtet fühlt.
Höfische Ränkespiele, Intrigen, auch direkte Auseinandersetzungen, das
alles gewinnt einen modellhaften Charakter. Es spielt sich ab – wie in
einem Labor, in klinisch sauberen Räumlichkeiten.

Die
Bühne, unter einer geschlossenen, weißen Decke, die Wände von großen,
weißen Kacheln umrahmt, der Boden mit weißen Platten bedeckt. Kein
Stuhl, kein Schrank, einfach nix, außer einem Riesentisch, der hin und
wieder aus dem Bühnenboden hochgefahren wird und sich zuweilen in einem
geschlossenen Glaskasten verwandelt lässt, dazu ein Riesenbett, das, je
nach Bedarf, aus einer Seitenwand herauskommt. Ein ebenso überzeugendes
wie völlig abstraktes Bühnenbild von Viva Schudt. (Die leider auch für
die allerdings eher kläglichen Kostüme, nix Fisch, nix Fleisch
verantwortlich war.)
Dieses durchwegs abstrakte Ambiente verstärkte nämlich nur noch die
Konzentration auf das handelnde Personal. Nichts, was von ihnen ablenken
konntet. Durch die Intensität der Inszenierung wirkt nichts, aber auch
gar nichts abstrakt. Das liegt natürlich auch am höfischen Leben, das
sich, der Darstellung von Thomas Hobbes folgend, meist als ein Kampf
aller gegen alle darstellt. Hier, durch die Reduktion des Personals,
sehr konzentriert. Einzelkämpfer, die sich gegenüber stehen.
Wenn Carlos bei seiner Ex-Braut und Jetzt-Mutter herumjammert,
wenn die beiden sich auf der großen Bühne gegenüberstehen, dann sind sie
auf sich gestellt. Nichts lenkt von ihren Dialogen ab. Wenn der König,
worauf er lange warten musste, mit dem Marquis, der, als ehrliche Haut,
versucht hatte, ihm aus dem Weg zu gehen, endlich ins Gespräch kommt,
dann stehen sich auch die beiden, ganz allein auf der großen, weiten
Bühne, gegenüber.
Wie zwei Welten. Die vergangene und eine, wie Schiller ganz fest glaubt,
die kommen wird. Posa gesteht entsprechend dem König: „Das Jahrhundert /
ist meinem Ideal noch nicht reif. Ich lebe / Ein Bürger derer, welche
kommen werden.“ Und Schiller wusste wahrlich, wovon er sprach. Mit Mühen
nur war er seinem Landesherrn entkommen, der steckbrieflich nach ihm
fahnden ließ. Was er schrieb, das wurde außerhalb, zum Beispiel in
Mannheim, dann Frankfurt, 1788, aufgeführt. Wie jetzt, fast zweieinhalb
Jahrhunderte später, wieder in Frankfurt. Wo Posa dem König entgegnet:
„Nun, ich will Sie nicht betrügen. (…) Ich liebe die
Gerechtigkeit und will diese nicht nur für mich selbst“. Der König zeigt
sich von dem Marquis mehr und mehr beeindruckt: „Sie haben
Menschenkenntnis Marquis. Einen Mann wie Sie habe ich mir die ganze Zeit
gewünscht. Sie stehen vor mir und haben nichts für sich selbst erbeten.
Ihnen gebe ich den Auftrag, die Wahrheit herauszufinden.“
Und zwar über die Verleumdungen, die vom Herzog von Alba und
der Gräfin von Eboli in die Welt gesetzt worden sind. Hier verschränken
sich die privaten wieder mit den politischen Motiven. Und hier kommen
auch die beiden Stränge der Inszenierung von Felicitas Brucker wieder
zusammen. Das Private wird politisch, so hätte man 1968 gesagt.
Eifersucht, Intrigen, Ränkespiele, aber auch der politische Plan, den
der Marquis verfolgt, verschränken sich folgerichtig und führen zu dem
bitteren Ende, das, nüchtern betrachtet, aus gutem Grund, keinen Sieger
kennt. Auch, wenn, was bleibt, zwei Frauen sind, sollte man darin eine
Ironie der Geschichte, keinen feministischen Triumph sehen.
Das kleine Ensemble, allen voran Matthias Redlhammer als König und
Christoph Bornmüller als Marquis von Posa und, natürlich, Sarah Grunert
als Prinzessin von Eboli, konnte überzeugen.
Man kann aber trotzdem fragen, warum 66% des aufgebotenen Personals das
Ende dieses Dramas nicht überleben durften.
Man kann.
Muss aber nicht.
Der kräftige Beifall am Ende machte das deutlich.