Der demografische und der digitale Wandel treffen auf den Klimawandel. Was bedeutet das für uns, für unsere Demokratie, unsere Gesellschaft allgemein? Wie reagieren Galerien, Bibliotheken, Archive und Museen auf die Gleichzeitigkeit der Krisen? Was tun sie, was könnten sie tun? Barbara Fischer schaut in die Zukunft.
Wenn der Klimawandel den demografischen Wandel, die digitale Transformation sowie die Demokratie unter sein Brennglas nimmt.
Die ursprüngliche altgriechische Bedeutung des Begriffs „Museum“ als ein Ort für die kollektive Erinnerungs-, aber auch Deutungs- und Weissagungsinstanz ist heute noch inspirierend. Das Museum ist eine Institution der Gesellschaft, die es alimentiert und an die es sich wendet. Daher sind die großen Fragen, die Gegenwart und Zukunft an unsere Gesellschaft stellen, auch genau die Fragen, denen sich das Museum und letztlich alle Einrichtungen des GLAM-Spektrums stellen sollten. Das englische Akronym GLAM steht für Galerien, Bibliotheken, Archive und Museen. Das Museum ist Teil der Polis. Und genau diese Polis, unsere Gesellschaft, steht gerade jetzt vor großen Fragen. Die Zeichen stehen auf Wandel: Der demografische und digitale Wandel treffen auf den Klimawandel. Was bedeutet das für uns, für unsere Demokratie, unsere Gesellschaft allgemein? Können wir gelassen und optimistisch in die Zukunft schauen? Viele und gerade jüngere Menschen reagieren mit Verunsicherung und Stressgefühlen auf die im Raum stehenden Herausforderungen. Wie reagieren die Museen und andere GLAM-Einrichtungen auf die Gleichzeitigkeit der Krisen? Was tun sie, was könnten sie tun? Der nachstehende Beitrag folgt gegenwärtigen Trends, extrapolarisiert diese in die nahe Zukunft und versucht Antworten zu geben. Er möchte den Faden aus “Die Kulturmanagerin von morgen” https://faustkultur.de/kunst-ausstellungen/kulturmanagerin- von-morgen/ von 2018 weiterspinnen.
Einmal
Giggleverse und zurück
Wir schreiben das Jahr 2030. In Deutschland flüchten sich Millionen von
Rentnern täglich vor Langeweile, angesichts der hohen Flugpreise, der
Hitze und der übervollen Städte, in das heimelige virtuelle
Giggleverse. Abonnements in unterschiedlichen
Kategorien erlauben den Genuss kurzweiliger Stunden. „Man möchte die
Brille gar nicht mehr absetzen”, schwärmt Sabine S. aus Köln. Vor allem
liebt die Kölnerin die bombastischen Ausstellungen der Konföderierten
Museen. Dank der leichten VR-Brillen sind mögliche Seh- und
Hör-Einschränkungen kein Problem. Bewegungseinschränkungen ohnehin
nicht. Ein kurzer O-Ton von Sabine S:
„Ich leiste mir den Green Jewel Level. Damit kann ich sogar exklusiv durch die Museumshallen flanieren und noch eine Freundin einladen. Überall erwarten uns beflissene Angestellte. Sie erzählen so nett zu den Werken, Künstlern oder Anekdoten zu den Sammlern. Aber vor allem hören sie einem sehr interessiert zu, wenn man selbst erzählen will.”
Im Giggleverse haben alle Bediensteten Zeit. Keiner verdreht die Augen, wenn man München mit Mailand verwechselt.
„Nur Chatbots, meinen Sie? – Das klingt aber nicht nett. Die haben alle ihren eigenen Charakter und richtige Namen! Teilweise so reizvoll exotische und sprechen trotzdem einwandfrei Deutsch. Immer höflich und wissend, ohne einen zu ermüden. Man braucht nur den Kopf leicht zu wenden, wenn es anfängt zu viel zu werden, schon taucht ein neues prachtvolles Werk auf und nicht weit entfernt lächelt ein gutaussehender, charmanter Kurator einem einladend zu. Im Green Jewel Level haben sie alle mindestens einen Doktortitel oder sind gleich Professor.”
Am Anfang habe sie noch begeistert die Werke als originalgetreue Kopien nach Hause bestellt, doch so viel Platz hat sie gar nicht. Heute bestellt sie sich bestenfalls mal ein lebensgroßes Hologramm von Frida Kahlo nach Hause. Dann plaudert sie eine Stunde mit ihr. Bis Frida sich auflöst. – Vielleicht wird das Giggleverse nicht ganz so rasch Realität. Wie schon Second Life zuvor, hat offenbar auch Metaverse Probleme, richtig durchzustarten.
Was bietet das digitale Angebot für
„Boomer“?
Bleiben wir optimistisch. 2030 werden Menschen der Jahrgänge 1955 bis
1969 die zentrale Besuchergruppe der Museen sein. Sie haben Zeit, Geld
und fühlen sich den Idealen des Bildungsbürgertums noch verbunden. In
den Museen werden sie aller Voraussicht nach auf ein deutlich
erweitertes digitales Angebot treffen als heute. Seit Corona gehen viel
mehr Museen mit der Hilfe digitaler Technologien neue Wege der
Vermittlung und Besucherbindung. Als ein Beispiel unter vielen setzt die
Stiftung sächsische Schlösser und Gärten verstärkt auf digitale
Anwendungen vor Ort. Von immersiven Videoinstallationen, interaktiven
Audiotours bis zu Virtual-Reality-Anwendungen, alles, was machbar ist,
wird eingesetzt, um das Image der angestaubten Schlösser und der
langweiligen Burgruinen abzustreifen. Das bundesweit laufende
Kooperationsprojekt Museum 4.0 https://www.museum4punkt0.de/
, das Mai 2023 zu Ende ging, hat eine Vielzahl aktivierender
Apps und Tools für den digitalen Wandel entwickelt. Ein Blick in die
Projektbibliothek lohnt sich.
Viele der Digitalprojekte zielen auf jüngere Zielgruppen. Doch
angesichts des demografischen Wandels scheint die Frage berechtigt: Wie
„rentnertauglich“ sind die Digitalangebote? Nehmen wir die vielen Apps
vor Ort: Welche sind explizit auf die Interessen und Bedürfnisse der
„Silver Agers” zugeschnitten? Nehmen sie diskret Rücksicht auf schwache
Augen, Ohren und die geringere Bereitschaft, sich in jedem Museum mit
einer neuen App vertraut zu machen? Gibt es genügend und einladende
Gelegenheiten zum Hinsetzen, die attraktiv in die
Ausstellungsarchitektur integriert sind? Denn die Klientel fühlt sich
nicht alt, sie schätzt nur den Komfort. Müssen es Kopfhörer sein, wenn
der Besuch in der Regel in Gesellschaft erfolgt, man eine Brille und
zudem vielleicht ein Hörgerät trägt, auf jeden Fall aber gut frisiert
ist? Da stört jeder Kopfhörerbügel. Gibt es gute Alternativen? Bisweilen
fordern die Museen heute ihre Besucher auf, ohne Kopfhörer über den
Lautsprecher des Gerätes zuzuhören. Aber ich zumindest empfinde es als
störend, wenn gleichzeitig mit mir 20 Menschen bei hoher Lautstärke sich
unterschiedliche Abschnitte anhören. Da können Hörstationen eine gute
Alternative sein. Bleibt die Ausstellung auch ohne App verständlich?
Sind die Texte auf dem Smartphone unmittelbar lesefreundlich und passen
sich der jeweiligen Bildschirmgröße geschmeidig an?
Die nächsten Jahre werden zeigen, welche der gegenwärtigen Anwendungen
noch 2030 tragen. Vermutlich sind solche Anwendungen besonders
zukunftsfähig, die wandelbar bleiben. Sonst dürfte ihre „Halbwertszeit”
deutlich kürzer als die der konventionellen Dauerausstellung sein.
Machen Sie einen einfachen Test: Wie alt ist die älteste Museumsapp auf
Ihrem Device? Vermutlich selten älter als zwei Jahre. Die App-Stores ja
gerade mal vor 15 Jahren mit Angeboten wie Ebay oder einem
Barcode-Scanner. Der von der Autorin mitgegründete Kulturhackathon
Coding da Vinci https://codingdavinci.de/
hat sicher viel dazu beigetragen, die App-Idee in die Museen zu bringen.
Doch der Hauptgrund liegt in den Geräten und ihren Betriebssystemen,
die von den Apps kontinuierlich Aktualisierungen abverlangen. Wenn die
Verträge mit den Entwicklern diese Anpassungen nicht eingepreist haben,
dann gibt es in den wenigsten Museen eine IT-Abteilung, die das leisten
könnte. Man könnte daher fast zu der Ansicht kommen, Apps seien fast so
etwas wie Weg-Werf-Artikel. Niemand will für sie bezahlen, sie veralten
schnell, und es ist zu teuer, sie zu aktualisieren. Nachhaltig ist das
nicht.
Facette 1: Demografie und Klimawandel

Neue
Arbeitsperspektiven
Im Sommer annoncierte der Leipziger Verkehrsverbund, er zahle bis zu
5000 Euro Einstiegsprämie für neue Arbeitnehmer. Noch vor 20 Jahren
waren Hunderte Bewerber auf eine Stelle die Regel. Heute bleiben Stellen
unbesetzt, weil keine geeigneten Bewerber*innen gefunden werden, klagen
Industrie, Handwerk und Handel. Dieser Trend wird sich noch verstärken.
Auf der anderen Seite: Allein in Deutschland werden sich im Jahr 2030
13 Millionen Rentner täglich fragen, wie sie sich die Zeit vertreiben
sollen. Sie sind vielfach rüstig, oft alleinstehend, solvent und
unternehmungslustig. Jedoch die voraussichtlich hohen Temperaturen im
Sommer, die Stürme und Starkregen sowie die Furcht vor neuen
Krankheiten, die heute nur in den Tropen lauern, werden sie vielleicht
zu Stubenhockern machen. Wie motiviert man sie, die Ausstellungen,
Schlösser, Museen, Burgen, Bibliotheken und Archive zu besuchen? Und vor
allem, wer nimmt sie dort in Empfang? Denn gleichzeitig werden Tausende
Museen in Deutschland Mitarbeiter*innen suchen. Gesucht werden wird
Personal in jeder Position. Von der Direktorin bis zur Aufsicht. Es ist
schon heute schwierig, aber 2030 dürfte der Arbeitskräftemangel in jeder
Branche auf dem Land, in der Stadt, in der Metropole alle Unternehmen
zu immer neuen Lösungen in Konkurrenz um Mitarbeitende treiben. Der
Trend verstärkt sich zur düsteren Perspektive.
Der demografische Wandel offeriert jedoch auch Chancen. Angesichts der vermutlich knapper werdenden Kulturmittel und des Arbeitskräftemangels im Jahr 2030 sind Rentner vielleicht die Lösung. In vielen GLAM in England sind die „Silver Agers“ schon heute unverzichtbar im Arbeitsalltag. Kasse, Shop, Aufsicht und Führung, alles in den Händen von meist ehrenamtlich tätigen Rentnern. In Deutschland bislang nur verschämte Realität in kleinen Museen. Warum nicht Museen von Rentnern für Rentner planen? Dieser Prozess braucht Zeit. Fangen Sie am besten gleich damit an. Denn Sie müssen einige Hindernisse ausräumen: Arbeits- und Versicherungsverträge anpassen, gegebenenfalls Mehraufwand für flexible Einsatzkraftkoordination einplanen, Umschichtung bei der Planung von Tätigkeitsprofilen und vieles mehr. Aber noch wichtiger, das ehrenamtliche Engagement in den Einrichtungen zu fördern. Im National Heritage Trust in England ist die Zusammenarbeit mit Freiwilligen eine lang gepflegte Tradition. Wer sich dort in seinem lokalen Museum engagiert, profitiert als Mitglied des Verbandes durch freie oder zumindest stark reduzierte Eintritte in Museen, Gärten, Schlössern und Burgen im ganzen Land. Die Museumsverbände in Deutschland sind bislang Berufsverbände, deren Mitgliedschaft auch für Rentner an deren frühere berufliche Tätigkeit in Museen anknüpft. Auch hier müsste sich also etwas ändern.
Es steht außer Frage, dass die digitale Transformation einen erheblichen Einfluss auf den Klimawandel hat. Es geht dabei nicht allein um den Stromverbrauch und die damit einhergehenden CO2-Emissionen, sondern ebenso um den Verbrauch an Metallen, seltenen Erden, das Überhandnehmen des Plastik- und Verpackungsmülls, zusätzliche Transportemissionen durch die globalisierte Produktion der Hardware, die Wärmeemission der Server beziehungsweise deren Bedarf an Kühlung. Die Liste ist lang. Durch den Anstieg der Anwendung Künstlicher Intelligenz (KI) in allen Lebensbereichen und die zunehmende Integration in unseren Arbeitsalltag potenziert sich das Problem. Nach ersten Berechnungen entstehen durch die Verwendung von KI erhebliche Mengen an zusätzlichen Emissionen. Außerdem birgt der Einsatz von KI weitere Gefahren, wie Datenmissbrauch, Verstärkung von gesellschaftlichen Vorurteilen und Ausgrenzung. Davor wird uns hoffentlich spätestens 2030 das KI-Gesetz der EU schützen.
Please, ask me
Es liegt nahe, eine der derzeit beliebtesten von KI gesteuerten
Anwendungen, den Chat GPT, selbst
zu fragen, welche Antwort auf die Frage „Wie beeinflusst KI die digitale
Transformation von Museen und Archiven vor dem Hintergrund des
Klimawandels?” nach seinen Algorithmen plausibel klingt. Denn die
Antworten des Chat GPT stellen
keine Wahrheiten, sondern Wahrscheinlichkeiten dar. Der Korpus des Chat
GPT basiert auf im Netz bis 2021
publizierten Texten. Auf der Grundlage dieser Texte berechnet der Bot
die Wahrscheinlichkeit der Nachbarschaft eines Begriffes zum nächsten,
ohne jedoch inhaltlich bewerten zu können, was die Begriffe jeweils
aussagen. Auch wenn das meist dazu führt, dass die so erstellten Texte
lesbar und scheinbar vernünftig klingen, sind es selten mehr als
eloquent formulierte Binsenweisheiten. (1) Die Aussage beispielsweise,
KI könne die Erschließungsarbeit erleichtern, was in Summa helfen würde,
Transportwege zu minimieren und damit den CO2-Ausstoß, klingt zwar gut,
setzt aber voraus, dass die Objekte, die KI-gestützt automatisch
identifiziert, klassifiziert und beschrieben werden sollen, überhaupt
digital vorliegen. Nach wie vor ist jedoch nur ein Bruchteil des
kulturellen Erbes in den Museen und Archiven digitalisiert. Zudem lassen
sich nicht alle Digitalisate gleichermaßen gut mit Text- und
Bilderkennungstechnologien bearbeiten. Die heutigen im Angebot
befindlichen automatisierten Erkennungstechnologien fokussieren auf
zeitgenössische Fotos und Schriftfonds. Darüber hinaus ist die
KI-Anwendung wiederum selbst sehr energieintensiv. Der Beleg, man könne
durch den Einsatz von KI tatsächlich CO2 einsparen, wäre demnach noch zu
erbringen. Auch für die Behauptung, ein „Erkenntnisgewinn durch die
Anwendung von KI auf das digitalisierte Kulturerbe als big data” sei zu
erwarten, scheint mir derzeit eher der Wunsch der Vater des Gedankens.
Schon 2018 bot die Google-App „Findet Euren Doppelgänger in Gemälden“
an, das eigene Selfie mit 70.000 Gemälden in der Google-eigenen Sammlung
Google Arts & Culture abzugleichen. Jedoch von dieser Spielerei
zu einem Erkenntnisgewinn in der Historiographie, Kunstgeschichte oder
anderen Geisteswissenschaften, wie er in der Medizin durch die
KI-basierte Auswertung von MRT
oder Röntgenbildern bereits heute Praxis ist, ist es noch ein weiter
Weg. Aber man arbeitet daran. Im Rahmen der Förderlinie der DFG zur nationalen
Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) soll durch die Erschließung und
Zugänglichmachung großer kuratierter Textkorpora, wie im NFDI-Konsortium Text+, eine große
Bandbreite historischer Texte als big data zur Verfügung gestellt
werden. Doch zuerst müssen sich die beteiligten Einrichtungen noch mit
Fragen der Standardisierung von Schnittstellen, Dateiformaten,
Metadaten, Verwendung von Normdaten und nicht zuletzt Urheberrechten
auseinandersetzen, ehe man eine KI nach Sprachmustern und ihren
Verschiebungen in zum Beispiel Gesetzestexten seit dem Napoleonischen
Code Civile forschen lassen könnte.
Museen als Klimaschützer
Doch KI kann ja nicht nur in den Digital Humanities zum Einsatz kommen,
sondern entscheidender, mit Blick auf den Klimawandel, ist der
KI-Einsatz zur Ermittlung von Potenzial bei der Steigerung der
Energieeffizienz und Ressourcensparsamkeit. Die grüne digitale
Transformation beginnt gerade für Einrichtungen Thema zu werden. Im Netz
versprechen verschiedene Anwendungen die einfache Berechnung des
Digital Footprints. (2) Im Kulturbereich wird Nachhaltigkeit derzeit
noch allgemeiner adressiert. Die Kulturpolitische Gesellschaft und der
Deutsche Museumsbund haben entsprechende Angebote für ihre Mitglieder
erarbeitet und veröffentlicht. Doch machten zum Beispiel die auf der
Jahresversammlung des Deutschen Museumsbundes im Mai 2023 vorgestellten
Initiativen deutlich, dass diese und ähnliche, so löblich sie im
Einzelnen auch sein mögen, selbst im Verbund nicht radikal genug sind,
um tatsächlich substantiell dem Klimawandel entgegenzuwirken, selbst
wenn man nur den GLAM Footprint
meint. Maßnahmen sind meist isoliert und ohne Verankerung in einem
ganzheitlichen Gesamtkonzept. (3) Doch es gibt Hoffnung. Einzelne
Einrichtungen, wie die Londoner Tate Gallery, haben Strategien der
Nachhaltigkeit vorgelegt und berücksichtigen dabei die Umweltfolgekosten
der digitalen Transformation. Auch in Deutschland gibt es einzelne
Pilotprojekte. Aber es fehlt, wie generell für Unternehmen, ein klarer,
verbindlicher und umfassender gesetzlicher Rahmen. Meist bleibt das
Thema digitale Transformation dabei ausgeblendet. Im Gegenteil, bei der
Umsetzung der digitalen Transformation ist derzeit noch eine große
Unbekümmertheit hinsichtlich ihrer Umweltfolgekosten zu beobachten. Wenn
man sich jedoch erst einmal vor Augen führt, dass jede digital
versandte Nachricht jeweils vier Gramm CO2 erzeugt und jede Stunde
Videocall mit zehn Teilnehmenden schon vier Kilogramm CO2, dann wird
klar, dass hier still und leise die Klimakrise verschärft wird. Gemessen
am gesellschaftlichen Stellenwert, den Kultureinrichtungen zu Recht für
sich beanspruchen, ist der derzeitige Grad an Engagement selbst dann
enttäuschend, wenn man den Anteil, den GLAM-Einrichtungen und die
Kreativwirtschaft am Klimawandel haben, in Relation zu ihren knapp drei
Prozent am Bruttosozialprodukt berücksichtigt.
Doch es ist genau dieser gesellschaftliche Relevanzanspruch, der
Aktivist*innen von der „Letzten Generation”, die noch etwas zu ändern
vermag, für ihre Aktionen in die Museen und Kunstsammlungen
führt.
Facette 2 Digitale Transformation und Klimawandel
Die
Museen als Ort der Begegnung
Wenn man optimistisch ist, kann man die 2022 von der ICOM veröffentlichte Museumsdefinition als
ein Manifest der gesellschaftlichen Verantwortung lesen. Dort heißt es:
„Museen ermöglichen vielfältige Erfahrungen hinsichtlich Bildung,
Freude, Reflexion und Wissensaustausch.” Das Museum präsentiert sich als
aktiver Hort der Gemeinschaft. Gradmesser der Attraktion sind aber nach
wie vor trockene Besucherzahlen. Die Angebote vieler Museen heute
zielen daher darauf ab, Besucher ins Haus zu holen, um sie mit
immersiven digitalen Angeboten für die Sammlung, die denkmalgeschützte
Architektur oder die aufbereiteten Inhalte zu gewinnen. Genau für diese
aufwändigen Angebote braucht es künftig mehr Kooperation der Museums-
und Ausstellungshäuser untereinander – interdisziplinär und überregional
–, um in Anbetracht kleiner werdender Etats und zugleich steigender
Kosten bei steigendem Bedarf für die Entwicklung neuer digitaler
Angebote überhaupt entsprechende Dienstleistungen einkaufen zu können.
Möglicherweise werden so die Kooperationen von GLAM-Einrichtungen zu global agierenden
Technologieunternehmen noch umfassender und zwingen erstere in tiefere
Abhängigkeiten zu letzteren. Wie verträgt sich dieser Trend mit dem
Credo der Kulturpolitik, unser aller Kulturerbe für alle gleichermaßen
zugänglich zu halten? Und wird dabei überhaupt die Frage nach
Nachhaltigkeit sowohl ökologisch als auch sozial gestellt? Als Museen
haben wir eine Verantwortung in der Gesellschaft. Ein Ort der Begegnung
impliziert einen Ort der Demokratie, an dem die relevanten Fragen der
Gesellschaft verhandelt werden können.
Fragen der letzten
Generation
Wahrscheinlich ist das Konföderierte Museum im
Giggleverse – siehe Facette 1 Die Demographie und
der Klimawandel – auch in 2030 keine Realität, vielleicht wird es sie
nie. (4) Realität werden jedoch die vielen Rentner, der
Arbeitskräftemangel und die Auswirkungen des Klimawandels sein. Wenn
niemand mehr die Arbeit zu tragbaren Löhnen machen will, sind
Verdichtung und Zusammenlegung nur Stationen auf dem Weg zur Schließung.
Zumindest aus der Sicht der Stadtkämmerer und Finanzminister, die
angesichts steigender Kosten im Zuge von Klimaschutz und Klimawandel die
freiwilligen Kulturausgaben als erste in Frage stellen werden. Sollten
dann die Parameter für die Bemessung von Erfolg und Relevanz in sieben
Jahren noch die von heute sein, dann könnte es für den GLAM-Bereich knapp werden. Heute sorgt der
Sonderausstellungen-Tourismus recht zuverlässig für gute Besucherzahlen.
Was, wenn Kerosin und Flughäfen nicht mehr subventioniert werden? Was,
wenn der Kulturtourismus tatsächlich einbricht? Wenn die Älteren das
Reisen als ein zu hohes Risiko scheuen? Und die Jüngeren Museumsbesuche
als „Boomer-Kram“ ablehnen, auch aus Enttäuschung über diese Generation,
die entschied, das Pariser Abkommen nicht einzuhalten, als es noch
machbar gewesen wäre. Was, wenn die Besucher mit Tomatensuppe und
Kartoffelbrei tatsächlich die letzten dieser Generation waren? Was, wenn
der heute noch wirksame Pakt zwischen Bildungsbürgertum und Machteliten
zerbricht, weil die Machteliten sich zunehmend weniger dem
Bildungskanon des 19. Jahrhunderts verpflichtet fühlen? Stattdessen
interessieren die einen vielleicht Sportereignisse, Popkonzerte oder
immersive Shows und die anderen nur noch ihre private Exklusivität in
einer zunehmenden Distanzierung beider Gruppen. Einen Trend in diese
Richtung lassen die Untersuchungen zur Publikumsentwicklung nach der
Corona-Zeit bereits erkennen.
Welche Strategiediskussion berührt diese Fragen? Es geht um die Aufnahme des demokratischen Diskurses statt seiner Verweigerung. Die Stellungnahme des ICOM Deutschland zu den „Attentaten der Klimaaktivisten”, die diese verurteilt und den Protest als in der Form ungeeignet ablehnt, ist ein verständlicher Reflex. Aber muss man sich nicht fragen, wie verzweifelt die Menschen sind, die sich derart und im Interesse der Menschheit exponieren? „… die Sorge um unsere Umwelt ist eine natürliche Erweiterung der primären Funktion von Museen, ihre Sammlungen gut durch die Zeit zu bringen.”, gibt Stefan Simon, Direktor des Rathgen-Forschungslabors der Staatlichen Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zu bedenken. Sollte man nicht in den Direktionsräumen der Museen, Bibliotheken, Galerien und Archiven innehalten und überlegen, wie man sich stattdessen mit den Klima-Aktivist*innen gemeinsam gegen eine Politik stemmt, die sich den Folgen des Klimawandels meint verschließen zu können? (5) Denn wohlgemerkt, die Klimaaktivist*innen kommen in der Regel aus gutbürgerlichem Milieu, also genau aus dem Kernpublikum der Museen und Hochkultur, nur sind sie die „Letzte Generation”.
Es reicht nicht, Klimamanifeste und Handreichungen zu veröffentlichen. (6) Wir müssen endlich handeln! Denn Artensterben, Umweltverschmutzung, Ressourcenmangel und globaler Temperaturanstieg bedrohen weniger den Planeten Erde selbst, als unsere Zivilisation. Unsere Kultur ist deren, wie wir alle wissen, empfindlichstes und gefährdetstes Gut. Lasst uns die Kultur schützen und daher mit aller Macht aktiv für Klima-, Arten- und Umweltschutz werden, individuell, als Einrichtung und nicht zuletzt als aktiver Teil der Polis.
Berlin, Oktober 2023
An der Stelle von Fußnoten:
1. Eine sehr gute Einführung in die Funktionsweise des Chat
GBT bietet dieser Vlogpost: https://
www.youtube.com/watch?v=nRZfnwf7K50 (aufgerufen am
5.10.23)
2. Es gibt verschiedene Organisationen, wie der Green Web Foundation,
die Anwender auf unterschiedliche Weise bei der Umsetzung grüner
Digitalität unterstützen wollen. Zur Berechnung des „Digital footprint”
https://lifestyle-
pro-klima.de/klimarechner (aufgerufen am 5.10.23)
3. Beispiele für Nachhaltigkeitsinitiativen an Museen: Typisch ist das
Museum Ludwig https://www.museum-ludwig.de/de/museum/das-
museum/nachhaltigkeit.html (aufgerufen am 28.9.23) oder die
Akademie der Künste Berlin:https://
www.rbb24.de/content/rbb/r24/kultur/beitrag/2023/08/akademie-der-
kuenste-berlin-time-to-listen.html (aufgerufen am 28.9.23)
oder die Projekte in einer vom Deutschen Museumsbund unterstützten
Initiative http://aktionsnetzwerk-nachhaltigkeit.de/projekte/
am 28.9.23)
4. Zum Thema umfassendere Nutzung von Kulturdaten: Das neue vom BKM geförderte Projekt Datenraum Kultur
(aufgerufen am 28.9.23) ist gerade gestartet. Es soll letztlich durch
auch kommerzielle Anwendungen helfen, Kultur zu fördern. Ob dieser
Ansatz gelingt, bleibt abzuwarten.
5. Zur Veranschaulichung der Diskussion: die Stellungnahme https://icom-deutschland.de/de/
nachrichten/564-statement-attacks-on-artworks-in-museums.html
(aufgerufen am 5.10.23), eine aus dem Spektrum der Klima-Bewegung https://
www.npr.org/2022/11/01/1133041550/the-activist-who-threw-soup-on-a-van-
gogh-explains-why-they-did-it (aufgerufen am 5.10.23) und
schließlich der Beitrag von Herrn Simon in der Wochenzeitung „Der
Freitag“ (24/2023) https://
www.freitag.de/autoren/der-freitag/warum-wir-als-museen-mit-
klimaaktivist-innen-zusammenarbeiten-sollten (aufgerufen am
5.10.23).
6. Als Beispiel das Klimamanifest der Europeana https://pro.europeana.eu/post/the-europeana-climate-
action-manifesto (aufgerufen am 5.10.23) und Handreichungen.
Die Kulturpolitische Gesellschaft https://kupoge.de/
culture4climate/ (aufgerufen am 5.10.23) und der Deutsche
Museumsbund https://www.museumsbund.de/publikationen/leitfaden-
klimaschutz-im-museum/ (aufgerufen am 5.10.23) haben
entsprechende Angebote für ihre Mitglieder erarbeitet und
veröffentlicht.
Facette 3 Demokratie und Klimawandel