Die Biographie Egon Bondys liest sich wie der Stoff eines Romans, der freilich in Distanz rückte, was er tatsächlich erkämpft und erlitten hat. Der Dichter und Philosoph, den man den Vater des tschechischen Untergrund nannte, starb 2007. Sein 1981 entstandenes Buch „Die ersten zehn Jahre“, das die Prager Avantgarde der Nachkriegsjahre aufscheinen lässt, ist jetzt auf Deutsch erschienen, und Alexandru Bulucz hat es gelesen.
Zbyněk Fišer hieß mit bürgerlichem Namen der unter dem Pseudonym Egon Bondy bekannte tschechische Dichter und Philosoph. Der gebürtige Prager starb 2007 77-jährig in Bratislava, wo er seit 1993 aus Protest gegen die Teilung der Tschechoslowakei lebte. Erinnert wird er vor allem als ein Guru des Prager Untergrunds, zu dem er in den Siebzigerjahren geworden ist, auch weil die tschechische Undergroundband „The Plastic People of the Universe“ 1974/75 Gedichte von ihm vertonte; offiziell erschien die entsprechende Schallplatte 1978 im Ausland.
Den Grundstein seines intellektuellen Werdegangs hat Bondy
unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelegt. Davon zeugt
seine autobiografische Erzählung „Die letzten zehn Jahre“, die der
Guggolz Verlag nun in der deutschen Übersetzung und mit kundigen
Stellenkommentaren von Eva Profousová vorgelegt hat; mit den „letzten
zehn Jahren“ ist Bondys Lebensabschnitt gemeint von 1947 bis zu seiner
Anmeldung zum Philosophiestudium im Prag des Jahres 1957.
Bondy beendete seine Teilbiografie im September 1981. Er schrieb sie auf
Wunsch einiger Freunde. Ausschlaggebend dafür, dass er sie zu diesem
Zeitpunkt verfasst hat, scheint aber vielmehr der unzeitige Unfalltod
von Honza Krejcarová im Januar 1981 gewesen zu sein. Die Tochter der
tschechischen Journalistin und Kafka-Bekannten Milena Jesenská ist zwar
nur eine unter Dutzenden von Figuren des Prager Untergrunds, an die
Bondy in seinen Schilderungen erinnert, wird von ihm aber am
ausführlichsten porträtiert. Bondy, das Enfant terrible, und Krejcarová,
die Femme fatale – mit anderen gewissermaßen die großen europäischen
Geschwister der amerikanischen Beatniks – gaben 1949 im Samisdat die
Anthologie „Jüdische Namen“ heraus und setzten damit ein Zeichen gegen
den anhaltenden Antisemitismus in ihrem Land. Dafür legte sich Zbyněk
Fišer den jüdisch klingenden Künstlernamen Egon Bondy zu, den er bis an
sein Lebensende behalten sollte.
Das Selbstzeugnis setzt harmlos ein. Bondy, Sohn eines hohen
Offiziers im Ruhestand, ist frisch verliebt und schmeißt die Schule hin,
die „zu etwas so Grundsätzlichem wie Liebe“ nicht passe. Er versteht
sich als Surrealist und Marxist und beginnt ein Leben als mittelloser
Bohemien mit ständig wechselnden Schlafstätten, der die
gesellschaftlichen Normen seiner Zeit ablehnt. Als Mitglied der
Kommunistischen Partei beteiligt er sich in Lidice am „Bau der Jugend“,
was er nach vier Wochen wieder sein lässt.
Die wirklichen Schwierigkeiten im Leben des Egon Bondy beginnen erst
kurz darauf, mit dem sogenannten Februarumsturz, der Machtübernahme der
Kommunistischen Partei in der Tschechoslowakei im Februar 1948.
„Wie alle jungen Menschen neigte ich dazu, die Welt zu gradlinig zu
sehen. Marxismus, Revolution, Aufbau der klassenlosen sozialistischen
Gesellschaft, das alles lag klar und problemlos auf der Hand, und wer
dagegen war, der war ein Reaktionär. Aber schon ein paar Wochen nach dem
Siegreichen Februar konnte ich einige aus meiner Sicht eklatante
Vorfälle nicht ignorieren.“
Die ganze Brutalität des neuen Regimes geht Bondy auf, als sein
Intellektuellenfreund Záviš Kalandra im Sommer 1950 im zweiten großen
Schauprozess zum Tode verurteilt und hingerichtet wird. Er erfährt es
aus einem Zeitungsfetzen auf dem Klo einer Wiener Arreststube und
erklärt sich noch vor Ort zum erbitterten Feind der
Sowjetunion.
Der von Geldsorgen Geplagte war da schon auf der Flucht vor Militärdienst und Arbeitspflicht und versuchte sich als Warenschmuggler zwischen Prag und Wien. Hier bietet er dem französischen Geheimdienst sogar an, mit „bakteriologischen Waffen“ in Form von infizierten Flöhen gegen die sowjetische Machtelite vorzugehen, einschließlich Stalin – eine der zahlreichen skurrilen Anekdoten Bondys. Dass ihn nicht ein ähnliches Schicksal ereilt wie Záviš Kalandra, verdankt er vor allem seinem Vater, der immer wieder für die Aufenthalte des Sohnes in der Psychiatrie sorgt und den Behörden damit die klinischen Gründe für dessen Aktionen liefert.
Den roten Faden der Erzählung bildet jedoch die unbeständige
Liebesbeziehung zwischen Egon Bondy und Honza Krejcarová. Sie finden
stets zueinander.
„Einzelne Erlebnisse werden ohne Rücksicht auf Chronologie an die
Oberfläche meines Gedächtnisses katapultiert, die meisten davon
schmerzlich, weil Honza Krejcarová einem Naturelement glich, sie
behandelte alles und alle um sie herum mit einer absoluten
Gleichgültigkeit, schmerzvoll und faszinierend zugleich. Ihrer
Anziehungskraft konnte sich keiner entziehen – es sei denn, man hätte
sich eine kürzere oder längere Zeit buchstäblich vor Honza versteckt,
aber auch dann, auch Jahre später, konnte man ihr wieder
verfallen.“
Die politische Marginalisierung, wenn nicht sogar Verfolgung
alternativer, künstlerischer Lebensformen wird besonders an Honza als
Frau deutlich. Die beiden Unangepassten müssen betteln, sind von
Obdachlosigkeit betroffen, er wird Alkoholiker, sie muss sich als
Prostituierte verdingen, und ein nicht unwesentlicher Grund, Mutter von
mehreren Kindern zu werden, ist ihr die staatliche Fürsorge, die sich
daraus ergibt. Bondy scheut nicht davor, sie als Nymphomanin zu
zeichnen, die nicht ausmachen kann, wer der jeweilige Vater ihrer Kinder
ist.
Gegen Ende seines Berichts steckt Bondy schon tief in
philosophischen Fragen marxistischer, ontologischer und buddhistischer
Natur. Der Existenzialismus seines Lebensstils hat ihn dorthin geführt.
Wurde er vor dem Februarumsturz von mehreren Seiten noch als Vorbild
empfohlen, gilt er jetzt als „abschreckendes Beispiel“ für „eine ganze
Generation gescheitelter (sic!) junger Männer“.
Das spektakuläre Selbstzeugnis aus dem Nachbarland taugt gewiss nicht
zur Entmythologisierung der Legende Egon Bondy, der, wie sich
herausstellte, auch Agent der tschechoslowakischen Geheimpolizei war. Er
habe sich bei dessen Niederschrift, so Bondy verschmitzt in einer
Anmerkung von 2002, auf „faktografische Zusammenhänge“ konzentriert und
auf diese Weise „die Plastizität der damaligen Zeit“ verwischt. Wenn dem
so wäre, wäre der Text verzichtbar, und man könnte stattdessen Lexika
und Geschichtsschreibungen zu Rate ziehen, um mehr über den Zeitraum zu
erfahren. Dem ist nicht so, denn „Die letzten zehn Jahre“ erschöpft sich
nicht in der Chronologie von Ereignissen, sondern zeigt das Individuum
in der bedrohten Lage zwischen machtvollen Fremdansprüchen und dem
eigenen Begehren und wie er sich mit der Autonomie und der Unbedingtheit
der Kunst hindurchnavigieren kann.