Schauspieler sind im Extremfall wie Gefäße, die sich vom Regisseur mit Persönlichkeit füllen lassen oder Persönlichkeiten, die mit ihrer ganzen Ungebärdigkeit einen Charakter gestalten. Angela Winkler, eine der prägenden Figuren des Neuen Deutschen Films, gilt, anders als die sensibel-fragile Erscheinung auf der Bühne und auf der Leinwand nahelegt, als eigenwillige Akteurin. Zu ihrem 80. Geburtstag gratuliert ihr Walter H. Krämer.
Angela Winkler ist eine deutsche
Film- und Theaterschauspielerin, die am 22. Januar ihren 80. Geburtstag
feierte und noch immer hin und wieder auf der Bühne steht –
beispielsweise derzeit in „Eurotrash“ an der Schaubühne Berlin.
2020 veröffentlichte Angela Winkler ihre Memoiren – erstaunlich kurz und
offenherzig. Dass sie bei der Arbeit nicht alles gibt, schreibt sie da
und verweist auf den Regisseur Robert Wilson, der ihr gestand, dass er
genau das an ihr liebe – dass sie nur 70 Prozent gebe. „Es stimmt“,
schreibt sie da, „ich lehne es ab, ‚perfekt’ zu sein“. Jeder Mensch
müsse heute, ob er wolle oder nicht, 100 Prozent perfekt sein. Und genau
das, so ihr Fazit, „will ich nicht“.
Angela Winkler wuchs in Templin und in Erlangen auf, wo sie von 1954 bis
1962 das Gymnasium besuchte. Mit siebzehn Jahren brach sie die Schule
ab, um Schauspielerin zu werden. 1964 begann sie an der Hochschule für
Musik und Darstellende Kunst Stuttgart ein Schauspielstudium, das jedoch
bereits nach wenigen Wochen endete: „Ich bin nach zwei Monaten aus der
Schule rausgeflogen. Es gab da diese Frau Ellerbriek, bei der sollten
wir Improvisation lernen. Wir mussten uns bewegen und stehen bleiben,
wenn die Musik aufhört, ein bisschen wie bei Reise nach Jerusalem. Ich
bin aber nie stehen geblieben. Ich wollte nicht. Deshalb bin ich
rausgeflogen.“ Angela Winkler hat dann in München privaten
Schauspielunterricht bei Ernst Fritz Fürbringer und Hanna Burgwitz
genommen und die Bühnenreife-Prüfung abgelegt.
1967 erhielt Angela Winkler ihr erstes Theaterengagement in Kassel, anschließend spielte sie in Castrop-Rauxel. Nachdem Winkler bereits in Fernsehfilmen mitgewirkt hatte, gab sie 1969 ihr Filmdebüt als Dienstmädchen Hannelore in Peter Fleischmanns „Jagdszenen aus Niederbayern“. Über diesen Film entdeckte Peter Stein sie für seine Berliner Schaubühne, wo Angela Winkler von 1971 bis 1978 spielte.
Ihr nächster Film „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ von Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta nach der gleichnamigen Erzählung von Heinrich Böll machte sie 1975 bei Kritik und Publikum zum Star.
Nach den Probeaufnahmen zu „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ – Heinrich Böll selbst hatte Angela Winkler für die Hauptrolle vorgeschlagen – sagte Schlöndorff: „Ihr leiser Tonfall, ihr kindlicher Ernst wirkten überzeugend. Kein Satz würde bei ihr ideologisch klingen, die Tat selbst würde nicht vorsätzlich wirken.“ Im Film erschießt sie den Skandaljournalisten einer Boulevardzeitung, der sie als Terroristenbraut diffamiert hatte. 1976 erhielt Winkler dafür den Deutschen Filmpreis.
1979 spielte sie in Schlöndorffs oscarprämierter Filmadaption „Die Blechtrommel“ des gleichnamigen Romans von Günter Grass Agnes, die Mutter des kleinen Oscar Matzerath, dargestellt von David Bennent. Die große Liebesszene zwischen Agnes und dem von ihr geliebten Polen Jan Bronski nannte der französische Regisseur Louis Malle „die so ziemlich sinnlichste Bettszene, die ich je gesehen habe.“
Angela Winkler hat im Theater mit Peter Stein, Klaus Michael Grüber, Luc Bondy, Peter Zadek, Karin Henkel, Christoph Schlingensief, Romeo Castellucci und Simon Stone zusammengearbeitet. Mit Robert Wilson arbeitete sie mehrfach am Berliner Ensemble, u. a. in Shakespeares „Das Wintermärchen“, Brechts „Die Dreigroschenoper“ sowie in „Lulu“ nach Frank Wedekind.
Bei der Premiere von „Die Nacht des Leguan“ im Jahr 2002 am Wiener Akademietheater provozierte Angela Winkler fast einen Theaterskandal: Ungefähr eine halbe Stunde, nachdem das Stück angefangen hat, bemerkte sie, dass ihr ein wichtiges Requisit – eine Brosche – fehlte. Sie geht von der Bühne, um diese zu holen. Der Regieassistent fällt bei ihrem Anblick in Ohnmacht. Zwischendurch fällt der rote Vorhang im Burgtheater. Nachdem die Brosche gefunden ist, kommt Angela Winkler zurück auf die Bühne und der zweite Akt kann von vorne beginne. Der Regisseur Peter Zadek war stinksauer, und zwischen ihm und Angela Winkler herrschte ein Jahr lang Funkstille. Man könnte meinen, sie hätte doch so tun können als ob. Aber das ist Angelas Sache nicht. Ihr geht es bei ihrem Spiel um Wahrhaftigkeit, um die Beglaubigung einer Rolle – und dazu gehörte in diesem Falle die Brosche.
2019 erhielt sie den Deutschen Schauspielpreis in der Kategorie
Theater für ihre Irina in der Inszenierung „Drei Schwestern“ von Karin
Henkel am Deutschen Theater Berlin. „Diese irrlichternd magische,
unzähmbar eigensinnige, souverän freie Ausnahmekünstlerin … ist das
Kraftzentrum dieser Inszenierung”, war in der „Frankfurter
Allgemeine Zeitung“ zu lesen.
In seiner Begründung für die Wahl Angela Winklers sprach Ullrich Matthes
von einem Augenblick versammelter Gegenwart in der Ausgestaltung der
Rolle. Gleichzeitig fragil und transparent und doch auch kräftig und
klar. In ihrer Darstellung mischten sich die Lebenserfahrung und ihre
Rollen-Erfahrungen und machten einen staunen, über diese Freiheit, sich
ganz dem Augenblick zu überlassen.
1999 wurde Angela Winkler für ihre Rolle als „Hamlet” in der
europaweit gefeierten Inszenierung von Peter Zadek zur Schauspielerin
des Jahres gewählt. Ihr sei es gelungen, so Harald Schmidt in einem
Interview, neben der Rolle auch eine private Haltung durchschimmern zu
lassen und die Kunst der scheinbaren Beiläufigkeit zu zeigen.
Die Proben für Hamlet waren turbulent, und zweimal ist Angela Winkler
während der Proben abgehauen und wollte aufgeben. Doch Peter Zadek hat
sie zurückgeholt: „Er fand mich nach einer Woche auf einem Bauernhof in
den Vogesen, wohin ich von den Proben, die in Straßburg stattfanden,
geflüchtet bin. Ich saß auf einem roten Sofa von Freunden, die dort ein
Bauernhaus haben. Zadek kam und sagte: ‚Genau so, auf dem Sofa, nehmen
wir dich mit.’ Und am nächsten Tag war wirklich ein rotes Sofa auf der
Probebühne. Es ging aber trotzdem nicht. Deshalb bin ich aus Straßburg
tags darauf noch mal abgehauen. Nach Berlin. Aber ich ließ mich wieder
überreden, nach Straßburg zurückzugehen.“
Angela Winkler ist bodenständig und sehr der Erde verbunden. Abzuheben
ist ihre Sache nicht. Lieber wühlt sie in der Erde und verrichtet
Gartenarbeit. Und das so intensiv, dass sie sogar „mit Maulwurfshänden
aufwacht“. Kein Wunder also, dass sie Goethes hehre Worte in einer
Inszenierung der „Iphigenie“ von Klaus Michael Grüber spricht, während
sie in Erde gräbt.
Mit ihrem Mann, dem Bildhauer Wigand Wittig, kauft sie immer wieder alte
Häuser, die dann instandgesetzt werden. Mal in Ligurien, am Jadebusen
oder an der Elbe, mal in der Auvergne oder in der Bretagne.
2011 veröffentlichte Angela Winkler, die ursprünglich eigentlich auch
Sängerin werden wollte, ihr Debütalbum „Ich liebe dich, kann ich nicht
sagen“, auf dem sie unter anderem Chansons von Barbara und Édith Piaf
und Songs von Sophie Hunger und Element of Crime interpretiert. Und auch
hier bleibt sie ihrer Maxime treu: „Es muss nicht alles perfekt sein,
das Leben spielt mit dir, und du musst mitspielen”.
Wie für ihre Film- und Theaterrollen arbeitet sie auch beim Musizieren mit von Hand geschriebenen Texten, eigenen Hervorhebungen und Unterstreichungen. Ganz ohne beißende Ironie verleiht sie so Textzeilen eine unschuldige, mädchenhafte Note.
Was auch immer sie tut, sie legt ganz selbstverständlich selbst
Hand an. Denn obwohl sie oft als „ewig junge Kindsfrau bezeichnet”
wird, ist Angela Winkler eigentlich eine Macherin und wurde zuletzt 2023
mit dem Götz-George-Preis ausgezeichnet. Die Schauspielerin zeichne
sich durch eine „unbändige Freude am Spiel“ und „einen leichtfüßigen
Umgang mit dem ihr eigenen, großen Können“ aus, teilte die Jury in
Berlin zur Begründung mit und ergänzte: „Diese Künstlerin lässt die
Seele sprechen.“
Angela Winkler prägte und prägt mit ihrem Spiel und ihrer Präsenz eine
Epoche deutscher Theater- und Filmgeschichte, und man kann des Öfteren
den Eindruck gewinnen, dass sie, in ein Drama hineingestellt, es für
sich noch einmal neu erfindet und es zum Klingen und Glänzen bringt.
*Die Zitate – soweit nicht anders angegeben – stammen alle aus Angela
Winklers autobiografischen Skizzen „Mein blaues Zimmer“ – erschienen bei
Kiepenheuer & Witsch