Die 1932 in Berlin uraufgeführte Operette „Ball im Savoy“, aus der Feder des jüdisch-ungarischen Komponisten Paul Abraham, ist eine schillernde Revue rund um Liebe, Sex und Paso Doble. 2012 hauchten ihr Barrie Kosky und Adam Benzwi an der Komischen Oper Berlin neues Leben ein. Als funkelnde Mischung aus Berliner Jazz, ungarischem Csárdás, wienerischem Schmelz und jiddischem Klezmer erzählt „Ball im Savoy“ die Geschichte rund um ein frisch vermähltes Paar, dessen Treue auf die Probe gestellt wird. Am Staatstheater Darmstadt hatte „Ball im Savoy“ jetzt unter der Regie von Andrea Schwalbach Premiere. Walter H. Krämer hat die Aufführung gesehen und war nicht nur begeistert.
Dem
Großteil des Publikums schien es zu gefallen – zumindest ließ das der
Applaus nach fast jedem Lied oder gekonnter und eingebauter Choreografie
vermuten. Dass dann mitunter die darauffolgenden Töne und Worte vom
Applaus erstickt wurden, schien diese Klatscher*innen wenig zu kümmern
oder gar zu stören.
„Muss das sein?“, fragt man sich als interessierter Besucher, der das
Geschehen auf der Bühne aufmerksam verfolgen will und die Musik
genießen. Und der besonders darauf aus war, die Texte von Alfred
Grünwald und Fritz Löhner-Beda zu hören und die Kompositionen von Paul
Abraham, diese mitreißende Mischung aus Berliner Jazzmusik, ungarischen
Zigeunerweisen, wienerischen Melodien und jiddischem Klezmer.
Barrie Kosky, der sich besonders um die Wiederaufführung von Operetten
jüdischer Künstler verdient gemacht hat, setzte mit seiner Inszenierung
von „Ball im Savoy“ 2013 an der Komischen Oper Maßstäbe für den heutigen
Umgang mit dieser Operette von Paul Abraham.
Für ihn ist „Ball im Savoy“ von 1932 ein Berliner Meisterwerk: „Eines,
das den spezifischen Jazz-Klang der Großstadt wie kein zweites
eingefangen habe. Es feiere die anarchische Vitalität und Queerness der
internationalen Schmelztiegel-Metropole und artikuliere damit auch ein
heutiges Selbstverständnis und Lebensgefühl“
Das Spiel mit den Exotismus-Klischees und dem Glücksversprechen
wechselnder Sexualpartner begeisterte und „Ball im Savoy“ war wieder
angesagt. Viele Bühnen setzten es auf ihren Spielplan. So jetzt auch das
Staatstheater Darmstadt.
Paul Abraham – 1892 in Ungarn geboren, 1960 in Hamburg gestorben –
entwickelte eine sehr eigenwillige Kompositionstechnik mit einer
Zentralpartitur, aus der sich jeder Dirigent zusammensuchen muss, was er
zur Aufführung bringen und wie es klingen soll.
So unterscheiden sich die verschiedenen Aufnahmen teilweise
beträchtlich, auch die veränderte Sichtweise auf die sexuelle
Freizügigkeit veränderte die musikalischen Interpretationen über die
Jahrzehnte.
Spätestens beim Lesen des Programmheftes zur Darmstädter Aufführung
musste man stutzig werden
Nicht nur die Musik von Paul Abraham sollte zu hören sein, sondern auch die anderer Komponisten (John Shjonberger, James V. Monaco, Misscha Spoliansky, Ludwigs Schmidseder; Heino Gaze und Louis Prima). Und es sollte eine Neufassung von Daniel Westen und Andrea Schwalbach – gleichzeitig die Regisseurin des Abends – frei nach dem Original von Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda werden.
Warum Neufassung – wo doch das Libretto einfach nur genial ist und warum noch mehr Komponisten einfügen – reichte die Fülle von Abraham musikalischem Können nicht aus?
Es ist gern geübte Praxis an Bühnen, sich auf den Pfad von Neufassungen zu begeben, Stücke mit zusätzlichem Material aufzuforsten. Selten mit großem Gewinn – ganz im Gegenteil. So auch in Darmstadt.
Da wird der musikalisch Biss des Paul Abraham glattgebügelt und einzelne Songs einfach verspielt. So etwa in der Szene, in der Madeleine de Faublas – gespielt und gesungen von Jana Baumeister – mit ihrem untreuen Ehemann im Wohnzimmer Ambiente sitzt und das Lied „In meinen weißen Armen“ singt und der Ehemann sie dauernd mit nervigen Fragen unterbricht. Eine verpasste Gelegenheit, dieses gehaltvolle Lied dem Publikum wirklich zu Gehör zu bringen und damit in die Tiefgründigkeit der Texte einzutauchen.
Ein weiters Beispiel: Madeleine de Faublas / Jana Baumeister) steht am Bühnenrand und singt das Lied „Was hat eine Frau von der Treue“. Hier bringt sie stimmgewaltig die Unterschiede zwischen Mann und Frau bezüglich sexueller Freiheiten zum Ausdruck. Ein berührender Moment und … dann wird ein weiteres Mal das Tiefgründige verkalauert! Schade.
Bei Paul Abraham geben der neuerfundene Känguru-Step, Fox und Blues den Takt an und man hört und spürt förmlich die eingeschriebenen tänzerischen Elemente dieser Operette – es darf, es soll, es muss getanzt werden.
Getanzt wird in Darmstadt ausgiebig und mehrfach. Nicht immer wird sinnfällig, warum gerade diese Choreographie, diese Kostümierung. Beispielsweise bei der „Blütenchoreographie“ oder dem Aufmarsch der „Sonnengötter“. Den Tänzer*innen jedoch gebührt großes Lob. Sie waren in ihrer Unterschiedlichkeit sehr erfrischend und erfüllten die vielfältigen Tanzrollen perfekt. Mal als Freunde des Hauses, mal als Frauen des untreuen Mustapha Bey (Levio Cecini) oder auch als Blumen, Hunde oder Sonnengottdiener*innen.
Durch Schlager der 20er Jahre wurde die Operette aufgepeppt. Doch reichten sie selten an die musikalische Qualität der Musik von Paul Abraham und die textlichen Qualitäten der beiden Librettisten Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda heran.
Jana Baumeister, ausgestattet mit einer wunderschönen Stimme, die mühelos, makellos und klar jede Höhe meisterte, wurde der Rolle der Madeleine mit zu viel des Schöngesangs nicht wirklich gerecht. Die Emanzipationsbestrebungen dieser Frau, die emotionalen Tiefen der Enttäuschung, ein wesentlicher Aspekt am Ende der Geschichte von „Ball im Savoy“, wurde zwar im Text besungen, aber nicht überzeugend dargestellt – zum Teil auch deshalb, weil ihr die Regie dafür keine Zeit und keinen Raum einräumte.
Daisy Darlington (Nomen est Omen), in Person von Cathrin Lange
entwickelte sich wahrhaft zum Darling des Publikums.
Eine Frau, emanzipiert und voller Tatendrang. Mit schier endloser
Energie singt, tanzt und spielt sie sich durch die Inszenierung und ist
der Star des Abends.
Ihre Beweglichkeit sowohl in der Stimme, als auch im Körper begeistert.
Sie verkörpert die Femme fatal mit männlichen und weiblichen Zügen, die
sich nimmt was ihr gefällt und sich stark genug fühlt, dem Orientalen
Mustapha Bey (Levio Cecini) Paroli zu bieten und in dem von ihr
formulierten Ehevertrag Gleichbehandlung einzufordern.
Eine Paraderolle für Dirk Weller ist die des Dieners Archibald. Immer zu Witzen und bissigen Kommentaren aufgelegt. Er moderiert, spricht mit dem Publikum und steppte sich hervorragend und gut durch den Abend. Ein Genuss, ihn bei seinem Spiel zu erleben.
Die Charakterisierung einzelner Figuren durch gebrochenes Deutsch mit Einsprengseln muttersprachlicher Wörter (mal spanisch, mal amerikanisch, mal russisch) erwies sich doch mehr als einfallslos. Die Idee verbrauchte sich schnell und nervte auf Dauer.
Tangotänzerin Tangolita (KS Kathrin Gerstenberger), eine
ehemalige Geliebte des frischgetrauten Ehemanns (Peter Sonn) von
Madeleine, besteht sofort nach Rückkehrt des Hochzeitpaares auf einer
Begegnung im Savoy. Durch Kostüm und auferlegtes Sprach- und
Bewegungsverhalten wird es der Darstellerin allerdings nicht leicht
gemacht, die Rolle der feurigen und liebeshungrigen Tangotänzerin auf
der Bühne zu verkörpern.
Eine Regie, die höchsten Ansprüchen gerecht werden will, sollte den
innewohnenden Sinn der Stücke herausarbeiten, um sie einem heutigen
Publikum plausibel zu machen. Das heißt auch, die Operette so ernst zu
nehmen wie die Oper, und die Trennung zwischen Spaß und sogenannter
ernster Kunst zu verwerfen. Zu akzeptieren, dass die düsteren und
schmutzigen Seiten des Lebens ebenso zur Kunst gehören wie Glück und
Lebensfreude. Stereotype Figuren auf die Bühne zu bringen und sie in
ihrer Klischeehaftigkeit gleich wieder zu hinterfragen.
„Ball im Savoy“ von Paul Abraham wurde in Berlin, bevor er von den
Bühnen verbannt und die Künstler*innen vor den Nazis fliehen mussten
oder wie Alfred Löhner-Beda KZ zu Tode kamen, rasend gefeiert: der große
Optimismus, der Spaß am Spiel mit Klischees, die herrliche Musik mit
Nonsens-Titeln wie „Känguru“, die modernen Tänze und großen Hits
steckten das Publikum an.
Auch deshalb ist es gut, dass sich diese Operette wieder die Bühnen der Republik erobert – etwas mehr Respekt vor dem Original und Auseinandersetzung mit der Zentralpartitur als in Darmstadt wäre allerdings wünschenswert.
Zum Schluss noch einmal ein Hinweis auf die richtungsweisende
Inszenierung von Barrie Kosky 2013 in Berlin: Nach dem Schlussapplaus
versammeln sich alle Mitspieler*innen noch einmal auf der Bühne und
singen gemeinsam das Lied „Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände
(Good Night)“. Das Lied stammt ursprünglich aus Abrahams Operette
„Victoria und ihr Husar“, wurde aber bewusst in die Produktion von „Ball
im Savoy“ integriert und ist fester Bestandteil der Aufführungen. Die
Darsteller*innen bitten das Publikum noch, nach dem Lied nicht mehr zu
klatschen – wenn es denn einer solchen Aufforderung überhaupt
bedarf -, sondern in Stille den Raum zu verlassen. Ein bewusstes und
angemessenes Umgehen mit der Zeitgeschichte sowohl der Operette als auch
ihren geistigen Vätern. Es geht auch anders (siehe Darmstadt) aber so
geht es auch (siehe Berlin).

Paul Abraham, Komponist (Todestag 6..5.1960) –
WDR ZeitZeichen, 14:38 Min.
Als der Banker Paul Abraham von risikofreudigen Investitionen und einer
ausgeprägten Spielsucht zum ersten Mal in den Ruin getrieben wurde, da
hatte er noch „Ernste Musik” geschrieben. Mit Violinkonzert,
Serenade und Streichquartett war Paul Abraham auf dem Weg zum
„klassischen” Komponisten. Doch nur fünf Jahre später gehörte
er zu den gefragtesten Unterhaltungsmusikern Europas. Autor: Niklas
Rudolph