Das Jahr geht zur Neige, das Lichterfest Chanukka, eingedenk einer Tempeleinweihung vor etwa zweieinhalbtausend Jahren, wird gefeiert; und Eldad Stobezki notiert – vom Bedeutungswechsel alter Traditionen bis zu den Zumutungen aktueller orthodoxer Bestrebungen – wie der Hass erzeugt wird, der immer wieder zu Tod und Zerstörung führt.
Die israelische Lyrikerin Idit Barak schrieb vor wenigen Tagen folgendes Gedicht:
„Das Jahr 2023 geht zu Ende
Der November ist vorbei
Es ist schon Anfang Dezember
Der Oktober
Bewegt sich nicht.“
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Einen Tag später schreibt Idit Barak:
„Vor dem 7.
War der 6. Oktober
Kaum zu glauben.“
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Heute, am 7. Dezember 2023 zünden Juden weltweit die erste
Chanukka-Kerze an. Was feiern wir? Wir feiern drei wichtige Ereignisse
in der Geschichte des jüdischen Volkes, die von Selbstbehauptung und
Bewahrung der Religion erzählen, nämlich von der Befreiung aus
hellenistischer Herrschaft, der zweiten Weihe des Tempels in Jerusalem
und einem Lichtwunder, das acht Tage währte. Als Kinder sangen wir
Chanukka Lieder und aßen Kreppel und Kartoffelpuffer. „Wir sind
gekommen, um die Finsternis zu vertreiben“ sangen wir, „In unserer Hand
tragen wir Licht und Feuer. Jeder von uns ist ein kleines Licht.
Zusammen sind wir ein mächtiges Licht. Verschwinde Finsternis vor dem
Licht.“ Judith, meine Großmutter mütterlicherseits, wohnte bei uns und
hatte am ersten Chanukkatag Geburtstag. Alle Familienmitglieder kamen,
um ihr zu gratulieren, und jeder brachte eine Chanukkia mit. Wir
zündeten die Kerzen an, sangen und aßen die besten Kreppel der Welt, die
Großmutter in heißem Öl gebacken hatte.
Jetzt kann ich mich über die Einweihung des zweiten Tempels nicht mehr
freuen. Denn die Orthodoxen in Jerusalem planen ernsthaft die Errichtung
eines dritten Tempels auf dem Tempelberg. Die Chassidim sind stark und
frech. Die Vorbereitungen wie z. B. die Züchtung einer roten Kuh, sind
schon im Gange. Bei den Versuchen, am Pessachfest ein Lamm auf dem
Tempelberg zu schlachten, provozieren sie die Moslems. Wie dumm ist das
denn? Wohin dieser Prozess der Religionisierung Israels führen wird,
möchte ich mir nicht vorstellen.
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Ein Facebook-Freund, ein schwuler Jude aus Amsterdam, hat eine Lego
Kiste gepostet. Auf der Kiste stand Gaza. Darin waren nur graue
Bausteine. Ich schrieb ihm, das sei geschmacklos und böse. Er
antwortete: „Auf welcher Seite stehst du?“ Ich habe nicht geantwortet.
Ich habe ihn entfreundet. Ich frage mich, ob er Geert Wilders gewählt
hat.
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Eine enge Verwandte aus Israel schickte mir das Foto einer brennenden
Stadt. Darüber steht „Wir zünden Gaza an, erste Kerze Chanukka, gelobt
seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, Du hast uns das Leben
geschenkt, uns erhalten und uns in diese Zeit gebracht.“ Ich schrieb
auch ihr, wie zynisch und unmöglich diese Karte ist und dass ich ihr
verbiete, mir solche Karten zu schicken. Wäre sie keine Verwandte von
mir, ich hätte sie sofort entfreundet. Wie wäre das, fragte ich sie,
wenn ich ihr Fotos von brennenden Synagogen von der Pogromnacht schicken
würde. Sie begriff den Zusammenhang nicht. Es tut weh zu sehen, dass
die Israelis nicht begreifen, dass sie jetzt die Samen für Hass und
Krieg in die nächsten Generationen säen.