Von den jahrhundertelang vibrierenden Orgelpfeifen in Halberstadt bis zur Orchideenwurzel führen die Gedankengänge Eldad Stobezkis, von der Anmaßung auf See über eine verbotene Buchvorstellung in Haifa bis zu den palästinensischen Oliven. Vergangenheit, halbe Ewigkeiten und das Hier und Jetzt versammelt er in Faust-Kultur, vielleicht auch Zukunft.
Wie
lange kann man unter Wasser bleiben ohne Luft zu holen? Wie lange kann
ein Musiker in sein Instrument blasen ohne Luft zu holen? Man gerät
schnell in Panik, wenn man keine Luft mehr bekommt.
Diese Fragen stellte sich der amerikanische Komponist John Cage nicht,
als er sein Orgel-Kunstprojekt Organ2/ASLSP konzipierte. ASLSP steht für: As slow as possible und
ist die Anweisung, die vierseitige Partitur so langsam wie möglich zu
spielen. Am 21. November 1987, bei der Uraufführung in Metz, dauerte die
Aufführung 29 Minuten.
Seit dem Jahr 2001 wird es in der Sankt-Burchardi-Kirche in Halberstadt
als langsamstes und längstandauerndes Orgelstück der Welt mit einer
Gesamtdauer von 639 Jahren aufgeführt, dem zufolge sich das Projekt als
ein Versprechen an die Zukunft versteht und auch als musikalisches
Langzeitexperiment gelten kann. Der jüngste Klangwechsel fand am
5.Februar 2024 statt; der nächste ist für den 5. August 2026
vorgesehen.
Cage sagte: „Die Musik, mit der ich mich beschäftige, muss nicht
unbedingt Musik genannt werden. In ihr gibt es nichts, woran man sich
erinnern soll. Keine Themen, nur Aktivität von Ton und Stille.“
Das berührt mich. Ein Klang, ein Mantra, ewig im Raum hallend, eine
ununterbrochene Meditation. Und alle zwei Jahre kommt eine Orgelpfeife
dazu und ergänzt den Klang. Zum Klangwechsel pilgern hunderte von
Menschen in die romanische, turmlose Basilika, mit deren Bau 1186
begonnen wurde. Wie gut alles zusammen passt: Die uralte Kirche, die
zeitweise auch als Lager und Schweinestall diente, als Sitz einer Idee,
die mit dem Klang der Ewigkeit kokettiert und ringt.
Lockt die Zuhörer das Versprechen der Kirche auf ein Leben nach dem Tod?
Glaubt man den Ton des Kosmos hier imitieren zu können?
Bei allem Ernst muss ich auch schmunzeln, wenn ich an die Redewendung
„Aus dem letzten Loch pfeifen“ denke. Der Ausspruch bezieht sich auf die
Löcher eines Blasinstruments, zum Beispiel einer Flöte. Auf dem letzten
Loch erklingt der höchste Ton, der auf dem Instrument erreicht werden
kann. Nach dem Blasen des letzten Lochs, sind seine Möglichkeiten
ausgeschöpft: Es kann kein höherer Ton hervorgebracht werden. Das
passiert in diesem Projekt aber erst im Jahr 2640.
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Der menschliche Wunsch, alles immer noch größer, noch opulenter zu haben, zeigte sich dieser Tage bei der Taufe des größten Kreuzfahrtschiffes aller Zeiten, der „Icon of the Seas.“ Wohin führt diese Anmaßung? Ich wünsche dieser Neuzeitikone nicht das Schicksal des Turms zu Babel oder der Titanic. Ich tröste mich mit dem längsten Orgelwerk aller Zeiten.
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In Colum McCanns Bestseller-Roman „Apeirogon“ trauern der Israeli Rami und der Palästinenser Bassam gemeinsam um ihre umgebrachten Töchter. Der erfolgreiche Roman, 2022 in deutscher Sprache erschienen, ist ein Aufruf zur Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern. Jetzt liegt die Übersetzung auf Hebräisch vor. Die Premiere des Romans sollte in Haifa stattfinden, einer Stadt, die für das friedliche Zusammenleben von Juden und Arabern bekannt ist. Doch die Familien der Gefallenen und Entführten vom 7. Oktober 2023 protestierten dagegen und die Oberbürgermeisterin hat die Buchvorstellung verboten. Ich denke an die verbotenen Schriftsteller im Dritten Reich und frage mich, ob der nächste Schritt die Bücherverbrennung sein wird.
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Nach dieser traurigen Nachricht, dass Bücher in Israel derart
zensiert werden, freute ich mich über die Einladung zum Frühlingssalat
bei meiner Freundin Astrid. Astrid war im Dienste der Evangelischen
Kirche zwanzig Jahre lang in Jerusalem und Bethlehem tätig und lebt
schon lange wieder in Deutschland. Als Abschiedsgeschenk bekam sie von
der Gemeinde in Bethlehem eine große, schwere Salatschüssel aus
Olivenholz. Die Schüssel wird oft benutzt und trägt Gebrauchsspuren. Sie
glänzt durch das Olivenöl, mit dem jeder Salat reichlich beträufelt
wird. Schon lange ist die Einladung ein Ritual zum Frühlingsanfang.
Astrid ist übergenau und sorgt immer dafür, dass sie genug Oliven und
Olivenöl aus Palästina hat. Sie bereitet die Labane selbst zu und die
Pitas kommen direkt aus ihrem Backofen warm auf den Tisch. Es gibt
tatsächlich nur den Salat. Aber der ist bunt und besteht aus allen
Gemüse- und Blättersorten, die man sich vorstellen kann. Auch S-chug
fehlt nicht, eine scharfe jemenitische Soße aus Peperoni, Koriandergrün,
Knoblauch, Salz und Olivenöl.
Doch ohne einen süßen Abschluss geht es auch bei Astrid nicht. Serviert
wird Salep-Pudding, der seinen Geschmack von pulverisierten
Orchideenwurzeln bekommt, und der allen, die in Israel und Palästina
waren, sofort das herzerwärmende Gefühl gibt, wieder dort zu sein, mit
Freunden am runden Tisch zu sitzen und vom Frieden zu träumen.
Ab September bei der Edition W:
Eldad Stobezki
Rutschfeste Badematten und koschere Mangos
Gebunden, ca. 150 Seiten
ISBN: 978-3-949671-15-9