Wenn Böhmen am Meer liegt, muss es auch eine fließende Verbindung zwischen dem Komponisten Bedřich Smetana und Israel geben: Der Mitschöpfer einer tschechischen Nationalmusik, der für seine sinfonische Dichtung „Mein Vaterland“ mehr Anerkennung erhielt als für seine acht Opern – und Israel, das Vaterland Eldad Stobezkis, das er aus seiner Empörung über die Menschenopfer nicht ausschließt.
Im Radio läuft
„Mein Vaterland“ von Bedřich Smetana. Als er diese patriotische
sinfonische Dichtung komponierte, war er schon taub. Die Komposition
beginnt mit zauberhaften Harfenklängen, die an Bardenmusik erinnern und
von Szenen aus der böhmischen Geschichte und Sagenwelt, von
Schlachtengetümmel und heldenhaften Kämpfen inspiriert sind.
Smetana höre ich immer gerne. Ich liebe es, wenn Elemente von Volksmusik
und Brauchtum in der klassischen Musik verwendet werden. Im Hinterkopf
aber blinkt die Warnlampe zu Nationalismus und Unterdrückung von
Randgruppen. Das Harfenmotiv wurde zum Pausenzeichen des Tschechischen
Rundfunks gewählt, und das Musikfestival „Prager Frühling“ beginnt jedes
Jahr am 12. Mai, Smetanas Todestag.
./.
Auch Beethoven hat seine Missa Solemnis nie gehört.
Vielleicht muss man den Geräuschen der Welt gegenüber taub sein, um die
innere Musik zu hören, die Musik, die uns mit Gott und der Schöpfung
verbindet.
./.
In den letzten zwei Monaten, nach dem 7. Oktober, haben die israelischen
Anti-Establishment Rappers ihre Richtung um 180 Grad gewendet. Sie
haben die sogenannten „Giftlieder“ für die israelischen Soldaten
veröffentlicht. In diesen Liedern erscheint immer ein „Geist“:
„Hamas-Terroristen müssen für das, was sie getan haben, bezahlen. Es
wird dauern, solange es dauert. Die Soldaten werden all unsere
Unterstützung und Liebe erhalten.“ Gibt es Unschuldige in Gaza? Diese
Frage wird in diesen Liedern nicht angesprochen.
Die Mainstream Schlager der in Israel bekannten Sängerinnen handeln
nicht mehr von Chillen, Partys und dem Gefühl weiblicher Macht. Sie
erfinden sich neu als „Kriegssängerinnen“ mit traurigen, nachdenklichen
Liedern.
Es ist nicht klar, ob die israelische Musik wieder zu dem wird, was sie
einmal war. Wird überhaupt etwas in uns zu dem zurückkehren, was vor dem
7. Oktober einmal war?
./.
In der Münchner Isarphilharmonie dirigierte Constantinos Carydis am 1.
Dezember 2023 ein Konzert mit Werken, die von Volksliedern und Brauchtum
beeinflusst waren. Von dem Griechen Nikos Skalkottas (1904 – 1949
Athen) gab es „Vier Bilder“. Die Sätze heißen: Die Ernte, die Saat, die
Weinpresse, die Weinlese. Ich frage mich, warum er mit der Ernte und
nicht mit der Saat beginnt. Sofort denke ich an Psalm 126: „Die mit
Tränen säen, werden mit Freuden ernten.“ Jetzt ist Erntezeit in den
Kibbuzim am Gaza-Streifen. Die Gemüsefelder werden von vielen Volontären
abgeerntet. Diese Ernte ist aber mit Tränen getränkt.
Vor vielen Jahren besuchten wir eine griechische Freundin in ihrem Dorf
auf der Insel Euböa. Vom Strand führt eine Serpentinenstraße über den
steilen Hang hinauf zum Bergdorf, wo Oliven wuchsen. An einer Stelle war
ein Baum gefällt. Dort pflanzte eine alte Bäuerin einen neuen kleinen
Olivenbaum und schleppte schwere Gießkannen mit Wasser. Sie wird die
Oliven an diesem Baum wahrscheinlich nicht mehr reifen sehen. Die
Selbstverständlichkeit, dass die Stelle nicht leer bleiben darf, hat
mich sehr beeindruckt.
In der Zwischenzeit bombardiert die israelische Armee weiter Ziele im
Gaza und niemand reagiert auf das, was in der Westbank passiert.
Vermehrt schikanieren Siedler die Palästinenser, erschießen sie und
verbrennen ihre Olivenbäume. Das scheint wirklich niemand zu
interessieren, nicht in Israel und nicht in der Welt. Auch Olivenbäume
haben ihr Schicksal.
./.
Während sich in Deutschland antisemitische Vorfälle verdoppeln und
verdreifachen, beklagen die Diaspora-Juden, dass die Kunstwelt und
generell die Öffentlichkeit nicht genug Empathie zeigt. Das mag sein. An
Empathie für Unschuldige in Gaza denken die Juden aber nicht. Und weder
Netanjahu noch einer seiner Minister besuchte eine einzige Beerdigung
der Opfer in den zerstörten Kibbuzim. Auch zur Trauerwoche erschien
keiner von diesen Ignoranten, die mit Recht fürchteten, dass man sie
gleich rausschmeißt, wenn sie irgendwo aufgetaucht wären. Wo sind
diesbezügliche Kommentare von den jüdischen Gemeinden in Deutschland?
Die Gelder für den Etat 2024, die durch die Koalitionsverträge an die
orthodoxen Juden gehen sollen, wurden genehmigt. Das Geld würde aber für
Verteidigung und Wiederaufbau dringend benötigt. Niemand braucht
Millionen, weder für das Ministerium für Jerusalemer Angelegenheiten und
jüdische Tradition, noch für das Ministerium für Dienstleistungen zur
Religionsausübung. Diese Fantasie-Ministerien schlucken nur Geld, das an
anderer Stelle fehlt.
./.
Wenn ich im Internet die Beschreibung von gebrauchten Büchern lese, muss
ich an mich denken. Da steht: „Verlagsfrisch, neu und ungelesen“, das
bin ich nicht mehr. „Exemplar mit normalen Gebrauchsspuren, mehrmals
gelesen, leichte Knicke am Einband“, würde schon eher passen. Es gibt
auch die Variante mit „deutlichen Gebrauchsspuren und zahlreichen
Mängeln, Knicken und Flecken, leichte Risse.“ Noch bilde ich mir ein,
dass ich keine Ramschware bin. „Ein Buch mit fehlenden Seiten kann man
nur anbieten, wenn es um ein historisches Dokument geht.“ Bin ich schon
historisch?