Die autoritären Charaktere, die im Nationalsozialismus quälend, raubend und tötend sich selbst verwirklichen durften, glaubten wir zu lange im Aussterben begriffen. Wir haben uns wohl geirrt. Die Signale, die sie aussenden, sind nicht zu übersehen und zu überhören. Der Missbrauch, den Eldad Stobezki thematisiert, ist nicht auf die Kirchen beschränkt.
Der
Bericht über den Missbrauch in der Evangelischen Kirche hat gestern das
Land erschüttert – und das in vielfacher Weise. Dass so viel Missbrauch
auch in der „aufgeklärten“ christlichen Kirche getrieben wurde, war
vielleicht keine Überraschung, aber doch ein tiefer Schock. Keine
Religionsgemeinschaft kann auf ihr Monopol pochen, wenn es um Macht und
Machtmissbrauch geht. Dass nicht alle Landeskirchen die vollständigen
Personalakten zur Verfügung stellten, dass das Personal zur Durchsicht
der Unterlagen nicht ausreichte, das ist ein Skandal. Die Zahlen sind
die Spitze der Spitze des Eisbergs, sagten die Autoren der Studie.
Ich frage mich immer wieder, wie es sein kann, dass Eltern und Lehrer
Warnsignale nicht erkennen. Und wenn ein Kind schon etwas erzählt, wird
es nicht ernst genommen. Die Täter werden ohne viel Aufhebens in eine
andere Gemeinde versetzt. Dass auch Frauen am sexuellen Missbrauch
beteiligt waren, ist ein Beweis, dass das Böse nicht nur für Männer
reserviert ist.
Mit wieviel Geld kann man das wiedergutmachen? Mit keinem Geld der Welt!
In den 1950-er Jahren, als die BRD dem jungen israelischen Staat und den Überlebenden der Schoah Wiedergutmachungszahlungen angeboten hatte, war ich ein Kind. Ich erinnere mich an die Diskussionen in Israel, wo Viele das Geld nicht annehmen wollten. Tatsache war aber, dass das Geld bitter nötig war, um das Land aufzubauen. Und wie wir wissen, ist die Existenz Israels für Deutschland eine Staatsräson.
Meine Eltern waren Jugendliche, als ihre Eltern 1933 nach Palästina flüchteten. Dafür, dass mein Vater nicht mehr in der Lage war, ein Studium zu absolvieren, wurde er mit DM 5.000 entschädigt. Er wollte Arzt werden, und das wäre er auch geworden, wenn …
Mit dem Geld kaufte er einen Schallplattenspieler und für mich
ein Klavier. Bis zur Einberufung in die Armee bekam ich
Klavierunterricht, und mein Vater kaufte sich Schallplatten. Wir hörten
sie oft und mit Freude. Einige dieser Schallplatten habe ich aufgehoben.
Was übrig blieb, ist die Musik.
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Ein Freund aus der Militärzeit in Israel hat Musikwissenschaft
in Tel Aviv studiert und promovierte über zeitgenössische Komponisten in
den kommunistischen Ländern. Im Radio hörte ich das Konzert für
Orchester von Witold Lutosławski und erinnerte mich an diesen Freund.
Ich rief ihn an und erzählte ihm von diesem Konzert, das ich zum ersten
Mal gehört hatte. Er fing gleich an zu dozieren: „Nach der
Machtergreifung von Stalin wurden Kunstformen, die nicht mit dem
sozialistischen Realismus zu vereinbaren waren, verboten. Kunstwerke
mussten die Ideale des Sozialismus und der kommunistischen Partei
widerspiegeln. Das Konzert für Orchester entstand zwischen 1950 und
1954, deshalb suchte Lutosławski einen Weg die Zensur zu umgehen, indem
er polnische Volkslieder in seine Komposition integrierte. Seine eigene
zeitgenössische musikalische Sprache hielt er jedoch aufrecht.“ „Danke“,
sagte ich, „herrlich, wie man die dummen Zensoren reinlegen kann, wenn
man etwas Folklore hineinmischt.“ Ich musste an die „Entartete Kunst“
denken und an die Kunst, die stattdessen im Dritten Reich entstand.
Kommt das alles wieder?
Aber die Musik wird bleiben.
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Mir wird schlecht, wenn ich den israelischen
Verteidigungsminister höre, der vom „Endsieg“ über die Hamas
redet.
Der erwünschte Endsieg hat schon damals nicht funktioniert. Gott sei
Dank.