Mitte Dezember, man denkt über Gaza, Flaggen, Bücher, Teilung, Hühner, Delphine und Marrons glacés nach, und alles wirkt verschattet von den mörderischen Vorgängen in Israel und Gaza. Was wissen wir davon? Was wissen wir von den Tieren, was wissen die über uns? Und was wissen wir von den Menschen? Selbstverständlich wollen wir nicht alles wissen. Eldad Stobezki notiert die Fragmente unserer Existenz.
14.
Dezember 2023 – heute brennt die letzte Chanukka-Kerze. Danach werden
nur noch Jahrzeitkerzen angezündet. Diese Zeilen schicke ich an einige
Freunde in Israel. Eine Freundin schrieb, dass sie voller Zorn und
Trauer ist. Ihr fehlen die Worte, um die Lage im Land zu erfassen. Ein
Freund teilte mir selbstverliebt mit, dass ihn die Sonne in Tel Aviv mit
24 Grad verwöhnt. Ich schrieb zurück, dass Gaza auf dem Mond liegt.
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Ich sehe das Foto von der Beerdigung eines Soldaten. Der Sarg ist in die
israelische Flagge gehüllt. Hinter dem Sarg gehen die Eltern. Was
denken sie? Denken sie, dass sie die Flagge als Sargdekoration nicht
haben wollen? Lieber wäre es ihnen doch, wenn ihr Sohn mit seinem
Spielzeug begraben würde, mit den Büchern, die er las, mit den Filmen,
die er sah. Mit Fotos aus glücklichen Tagen, zusammen mit Freunden und
Freundinnen.
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Wir saßen im Restaurant, am Tisch nebenan saß ein altes Ehepaar. Der
Mann drängte seine Frau, sie solle Bücher entsorgen, die sie nicht mehr
lesen wird. Sie blieb gelassen und antwortete: „Ein Leben ohne Bücher
ist möglich, aber sinnlos.“
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Ein Freund postete das Foto eines Flusses. Ich fragte ihn, wo das ist.
Hier seine Antwort: „Das ist die Hase in Löningen. Sie entspringt im
Teutoburger Wald bei Melle-Wellingholzhausen und fließt bei Meppen in
die Ems.“ Die Ems, die kenne ich. Dann schrieb er weiter: „Die große
Besonderheit der Hase ist die Bifurkation in Gesmold. An dieser Stelle
gabelt sich die Hase in zwei Flüsschen und gibt hier einen Teil ihres
Wassers an die Else ab, und nach 35 Kilometern mündet die Else bei Löhne
in die Werre. Lauter Naturwunder und nichts wie hin.
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Ein Freund hält einige Hühner in seinem Garten. Er liebt die Tiere und
sie dürfen weiterleben, auch wenn sie keine Eier mehr legen. „Sie werden
etwa vier Jahre alt“ erzählte er mir, „am Ende legen sie sich in eine
ruhige Ecke und nach drei Tagen schlafen sie friedlich ein.“
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Im Buchladen, kurz vor Weihnachten. Eine Kundin suchte ein Buch für eine
Freundin, das mit Träumen und Delphinen zu tun hat. „Kein Roman, kein
Sachbuch“, sagte sie. Als ich kurz zögerte, was ich ihr empfehlen
könnte, sagte sie barsch: „Sie haben wahrscheinlich von träumenden
Delphinen keine Ahnung“, drehte sich um und verließ den Laden.
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Vor Weihnachten bekam ich Lust auf Marrons glacés. In einer bekannten
Confiserie in der Freßgass fragte ich nach. Die Verkäuferin zuckte mit
den Augenbrauen: „Wie bitte? Was suchen Sie?“ Ich erklärte ihr, dass es
kandierte Kastanien sind. Die Verkäuferin schaute mich an, als wäre ich
vom Mond gefallen und sagte: „Kenne ich nicht, haben wir nicht.“
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Am dritten Advent waren wir von Freundinnen zum Brunch eingeladen. Die
Freunde dieser Gastgeberinnen treffen wir nur dort und nur ein Mal im
Jahr. Mit Corinna unterhalte ich mich fast jedes Mal. Um ehrlich zu
sein, ich weiß kaum etwas über sie. Dennoch fragte ich sie: „Corinna,
was gibt es Neues bei dir?“, und sie fragte zurück: „Kennst du schon das
Alte?“