Eldad Stobezki nimmt die Rettung von kulturellen Schätzen in den Blick und die schutzlos bleibenden Menschen. Nur die lebensbedrohende Gewalt weckt Zweifel daran, dass beide, der Mensch und sein kulturelles Erbe, zusammengehören. Gehören sie aber nicht zusammen, ist das Leben öd und leer. Stobezkis Notate folgen einer inneren Logik, über die die Szenenwechsel nicht hinweg gehen können.
Der
39. Tag zum Gaza-Krieg
Am Morgen des 7.Oktober wurde im Tel Aviv Museum der Ausnahmezustand
ausgerufen, noch bevor bekannt war, was genau passiert ist. Das
offizielle Israel hat den Angriff noch nicht in einer Terminologie
definiert, die einen Krieg erfordert, aber die aus Gaza abgefeuerten
Raketen und die Informationen aus den Nachrichten reichten aus, um im
Museum sofort zu handeln. Im Tel Aviv Museum, wo die Ausstellung des
Bildhauers Alberto Giacometti zu sehen war, entschied man sich für das
Kriegsverfahren. Ein solches Verfahren dient dem sofortigen Schutz von
Werken und Artefakten und umfasst die Entfernung aus der Ausstellung und
deren Verbringung an einen sicheren Ort. Aber der Abbau einer
Ausstellung mit Hunderten von Gegenständen, Skulpturen und fragilen
Miniaturen eines der größten Bildhauer des 20. Jahrhunderts ist ein
Schritt, der einem strengen Protokoll unterliegt. Normalerweise erfolgt
der Abbau eine Woche lang durch ein Team des Museums unter der Leitung
eines Kurators und eines Vertreters der Stiftung, die jeden Schritt
genehmigen müssen. Aber ein Krieg, der mit einem mörderischen Chaos
beginnt, berechtigt in der Regel dazu, keine Rücksicht auf das Protokoll
zu nehmen. Auch die Qumran-Schriftrollen in Jerusalem, immerhin die
wichtigsten Funde des 20. Jahrhunderts, wurden sofort in Sicherheit
gebracht. Sie sind das einzige jemals gefundene biblische Manuskript.
Ich erinnerte mich an den französischen Dokumentarfilm von
Jean-Pierre Devillers und Pierre Pochart „Der Mann, der den Louvre
rettete“ von 2014. Der Film beschreibt die Vision und den Mut von
Jacques Jaujard, dem fast unbekannten Mann, der die bedeutendsten
Kunstschätze des Louvre rettete. Im August 1939, zehn Tage vor Ausbruch
des Zweiten Weltkriegs, begann in Paris eine geheime und
außergewöhnliche Rettungsaktion, die praktisch wie eine Militäroperation
durchgeführt wurde. Daran beteiligten sich Hunderte von Mitarbeitern
und Freiwilligen unter der Leitung einer Person, die eigenständig und
ohne Anweisungen der Vorgesetzten handelte.
Hätten sie doch ihre Juden auch so sorgfältig versteckt, dachte ich
damals.
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Eine Facebook-Freundin, die der israelischen Politik kritisch
gegenübersteht, postete das Foto eines fünfjährigen Mädchens mit der
Unterschrift: „Ich werde nie, nie, nie vergeben.“ Ich fragte sie, wen
das Mädchen zitiert. „Sie hat niemanden zitiert, es kam von ihr“, war
die Antwort. Ich wollte ihr schreiben, dass das Mädchen in diesem Alter
wiedergibt, was sie im Kindergarten, auf der Straße, zuhause und im
Fernsehen hört und sieht. Es war aber sinnlos zu reagieren.
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Im Buchladen unterhielt sich ein junges Paar. Er stand vor dem Buch
„Eine kurze Geschichte der Zeit“ von Stephen Hawking und erzählte etwas
von der Entstehung der Welt. Ich sagte zu ihm: „Tohuwabohu.“ Das Wort
kannte er nicht. Auf dem Handy suchte ich schnell die Stelle im 1. Buch
Mose und las ihm vor: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde und die Erde
war wüst und leer.“ Wüst und leer, auf Hebräisch Tohuwabohu, wird die
Erde schon bald wieder sein. Zum unaufhaltsamen Klimadesaster gesellen
sich die Kriege.
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Vor Jahren aß ich Sushi, nahm etwas zu viel von dem Wasabi und bin fast
erstickt. Seitdem kann ich kein Wasabi mehr essen, mir bleibt sofort die
Luft weg. Das Nervensystem vergisst nichts. Was eine Kritik an Israel
betrifft, so ist der Holocaust das Wasabi der Deutschen.
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Aus der israelischen Presse: „Lange vernachlässigt und unterfinanziert,
ist Israels Gesundheitssystem nicht in der Lage, alle Überlebenden des
7. Oktobers psychisch zu behandeln. Nach Angaben des Direktors des
Gesundheitsministeriums sind seit Ausbruch des Krieges etwa 100.000
Menschen traumatischen Ereignissen ausgesetzt gewesen, und das System
ist einfach nicht darauf vorbereitet, damit umzugehen. Der Krieg ist ein
nationales Ereignis für die psychische Gesundheit.“
Als ich vor Jahren mit der Schriftstellerin Lizzie Doron über die
Traumata der Kindergeneration von Tätern und Opfern sprach, sagte sie:
„Deutschland und Israel sind offene Nervenanstalten.“ Wie recht sie
hatte.